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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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frei und konnte sich ganz seinen Instinkten überlassen. Schon bald witterte er eine Herde Rentiere. Er jagte ein altes Männchen und ein schwächliches Jungtier, die den Winter vermutlich nicht überstehen würden. Danach war sein Durst gestillt, und er fand wieder ins Gleichgewicht. Während er durch die einzigartige Landschaft streifte, hatte er genügend Zeit, über Rúna nachzudenken. Morgen wollte er sich dem stellen, was er so lange hinausgeschoben hatte. Das Geheimnis durfte nicht länger zwischen ihnen stehen. Dabei riskierte er, dass Rúna sich von ihm abwandte, weil sie nicht damit leben konnte. Er suchte Schutz zwischen den Bäumen eines kleinen Waldstücks. Hier fühlte er sich geborgen und im Einklang mit sich selbst. Es begann zu schneien. Tief atmete er die kalte Schneeluft ein, genoss die absolute Stille.

    Am Waldrand kam eine Hütte in Sicht. Sie war aus rot gestrichenem Holz und hatte eine kleine Veranda, von der man einen wunderbaren Blick auf den nahegelegenen See hatte. Heiðar war nach einem Bad zumute, um die Spuren der Jagd abzuwaschen. Er schlüpfte aus den blutgetränkten Kleidern und sprang ins erfrischende Blau, tauchte tief hinab, bis zum dunklen Grund des Sees.

    Klitschnass stieg er anschliessend in die sauberen Sachen aus dem Rucksack. Sein Blick fiel zum Sommerhäuschen. Bisher hatte er sich auf seinen Jagdausflügen von Gebäuden ferngehalten, selbst wenn sie nicht bewohnt waren. Doch diese Hütte zog ihn magisch an, wie von selbst wurden seine Schritte dorthin gelenkt. Es war schon lange niemand mehr hier gewesen, es waren keine Spuren auszumachen und auch keine menschlichen Gerüche feststellbar. Die ordentlich zugesperrte Tür war kein Hindernis für ein geschicktes Halbwesen.

    Als er ins muffige Dunkel trat, wusste er gleich, was ihn hierhergezogen hatte. In der abgestandenen Luft hing eindeutig ein unsterblicher Geruch, eine ansprechende Kombination von norwegischen Wäldern und salziger Meeresbrise. Heiðar zog die Tür hinter sich zu und blickte sich um. Die Hütte war in zwei Räume unterteilt: In der kleinen Stube gab es einen viereckigen Tisch und drei Stühle aus rohem Kiefernholz, eine winzige Küchenzeile mit einem uralten Gasherd und einem Waschbecken ohne Wasseranschluss. In der Ecke stand ein kleiner Heizofen, daneben ein paar Scheite trockenes Holz, das schon ziemlich lange hier lag. Heiðar öffnete die beiden Schränke der Küchenzeile. Im einen fand er etwas Geschirr, Töpfe und Besteck. Im Schrank unterm Waschbecken einige Konserven, deren Haltbarkeitsdatum längst überschritten war. Er rümpfte angeekelt die Nase und schloss den Schrank gleich wieder. Wie gut, dass er bereits satt war.

    In der winzigen Schlafkammer stand ein Bett, das Platz für zwei Personen bot. Der Duft des Unsterblichen entströmte der schmuddligen Bettwäsche. An der Wand gegenüber befand sich ein schmales Regal, darin reihten sich verschiedene medizinische Fachbücher aneinander, die meisten waren schon ziemlich alt. Vermutlich gehörte das Sommerhäuschen einem Arzt. Ob der Unsterbliche ihn getötet hatte? Oder war er einfach hergekommen, um sich in der freien Natur auszutoben, so wie Heiðar das regelmässig machte? Vielleicht hatte er auch eine Vorliebe für Wanderer und Schneeschuhläufer?

    Er heizte den Ofen an, um darin seine blutverschmierten Sachen zu verbrennen. Die konnte er unmöglich wieder mitnehmen, falls sein Gepäck am Flughafen kontrolliert wurde. Als das Feuer munter knisterte, machte er es sich im Bett gemütlich. Die klamme Bettwäsche störte ihn nicht besonders und den Geruch fand er nicht unangenehm. Es gelang ihm sogar, ein paar Stunden zu schlafen, so musste er nicht ständig an Rúna denken.

Heiðars Cousin?
     
    „Rúna.“ Sie zuckte erschreckt zusammen und blickte angestrengt ins Dunkel, bis sie realisierte, wer sie angesprochen hatte. Es war Fionn, Heiðars Cousin. Rúna ging zögerlich auf ihn zu. „Guten Abend, Rúna. Ich muss mich dringend mit dir unterhalten, es geht um Heiðar. Erweist du mir die Ehre, mich zu begleiten?“ Er sprach so gestelzt und dann dieser Akzent! Fionn stand dicht vor ihr, als wollte er verhindern, dass sie ihm entwischte. Rúna wusste nicht, was sie tun sollte. Sie kannte diesen Fionn doch gar nicht, hatte ihm an Kristíns Beerdigung bloss flüchtig die Hand geschüttelt. „Bitte Rúna, es ist sehr wichtig!“ Sein Blick war flehend auf sie gerichtet. „In Ordnung“, hörte sie sich selbst sagen. Vermutlich ging sie

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