Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
nun würde er in die Tiefen der Hölle gestoßen werden, um in ihren
Flammen zu verbrennen und doch nicht umzukommen. Dann sei es also so, beschloß
er. Zumindest würde er kein bluttrinkendes Ungeheuer mehr sein, wenn er in die
Welt der Toten einging . .
Ich bin Aidan Tremayne, erwiderte er nach langem Schweigen,
und dann veranlaßte ihn seine alte Arroganz zu fragen: Und wer bist du?
Ein donnerndes Lachen ertönte. Ich
bin Nemesis, der Racheengel, erwiderte die Stimme. Ist die klar,
Vampir, daß du verdammt bist?
Aidan blieb stumm. Ehrfurcht und ein
Gefühl, das größer war als seine Angst und das er nicht zu beschreiben
vermochte, beherrschten ihn. Ja, erwiderte er, als er sich wieder seiner
Sprache entsann und imstande war, in Gedanken das Wort zu formen.
Du bittest um Vergebung, erwiderte Nemesis. Welches Recht
hast du — ein Vampir, ein Ungeheuer und ein Dämon —, die Gnade des Himmels zu
erbitten?
Nicht das geringste, antwortete Aidan. Aber welches
Recht auf Erlösung besitzen schon diese Menschenwesen, die dein Herr so liebt?
Und doch ist die Wahl zwischen Himmel und Hölle für sie so etwas wie ein
Geburtsrecht, nicht wahr?
Nemesis schwieg und schien
nachzudenken. Du bist sehr dreist, Vampir, sagte er schließlich.
Was bleibt mir in meiner Lage
anderes übrig? war
Aidans Antwort.
Wieder schien der Racheengel, das
gefürchtetste Wesen der gesamten Schöpfung, belustigt zu sein. Das stimmt.
Was verlangst du also von mir?
Es gab keinen anderen Weg, als es
ganz offen und klar auszusprechen. Keiner wird Seinen Händen entrissen
werden, zitierte Aidan. So steht es in der Bibel. Aber ich bin eine
Ausnahme, denn meine Seele ist mir gestohlen worden, ich habe sie nicht
freiwillig aufgegeben.
Eine weitere lange, gespannte Pause. Ich werde darüber nachdenken, erwiderte Nemesis schließlich.
Neely zog ihr schwarzes Abendkleid an,
borgte sich mit Mrs. Fs Genehmigung ein Samtcape aus Maeves Schrank und nahm
ein Taxi zu der Adresse, die Wendy ihr angegeben hatte.
Die Schauspielschule befand sich im
Londoner Westend, eine lange Fahrt, und Neely traf genau fünf Minuten vor
Beginn der Vorstellung ein, das Bouquet gelber Rosen, die sie zuvor gekauft
hatte, in der Hand. Doch ihre Gedanken waren bei Aidan, wie stets, und die
Sehnsucht nach ihm verzehrte sie.
Morgen oder übermorgen, sobald sie
ein Flugticket bekam, würde Neely in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Die
Gefahr eines Racheakts des Drogenkartells war vorüber, und Neely war fest
entschlossen, sich zu beschäftigen, während sie auf Aidans Rückkehr wartete.
Wenn er bereit war, würde er sie
finden.
Sie ging ins Theater, nahm ihren
reservierten Platz ein und verlor sich für eine Weile in den Darbietungen ihrer
Freunde Wendy und Jason und ihrer talentierten Kollegen. Zwischen den einzelnen
Szenen jedoch ließ Neely immer wieder Aidans Bild vor ihrem geistigen Auge
auferstehen und klammerte sich daran fest.
Sie nahm an, daß sie eine Therapie
brauchte, sobald dies alles vorbei war, auf die eine oder andere Art, obwohl
nur Gott wußte, wie sie ihre Besessenheit für Vampire erklären sollte. Jeder
normale Psychiater würde es vermutlich als Neurose bezeichnen, ganz schlicht
und einfach ...
Sobald die Vorstellung beendet war,
traf Neely Wendy und Jason im Foyer, in der Nähe der Garderobentüren. Sie überreichte
Wendy die gelben Rosen, umarmte sie und gratulierte ihr und Jason zu der
gelungenen Darbietung.
In einem eleganten Club mit
gedämpfter Musik aßen sie zu Abend, und Neely war überrascht über ihren
gesunden Appetit.
Als Jason für einen Moment den Tisch
verließ, um mit Freunden zu sprechen, drückte Wendy Neelys Hand. »Was hast du,
Neely? Ich habe dich noch nie so unglücklich erlebt.«
Neely wünschte, ihr die ganze
Wahrheit gestehen zu können, aber das war natürlich völlig ausgeschlossen.
Selbst die künstlerisch begabte Wendy mit ihrer blühenden Phantasie würde
nicht imstande sein, das ganze Ausmaß ihrer Probleme zu begreifen.
»Ich glaube, ich bin nur müde. Ich
habe in den letzten Monaten viel mitgemacht.«
Wendy nickte verständnisvoll. Es war
gut, daß sie wenigstens über Neelys Erlebnisse mit dem Drogenkartell Bescheid
wußte. »Das kann man wohl sagen«, stimmte sie zu. »Was du brauchst, ist Ruhe.
Du solltest irgendwohin fahren, wo die Sonne scheint, und alles noch einmal in
Ruhe überdenken.«
Neely seufzte zustimmend. »Ich weiß
noch nicht, wo ich landen werde«, antwortete sie, »aber ich fühle mich
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