Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
indiskret
empfinden würde«, erwiderte er.
Neely seufzte. »Na schön«, sagte
sie. »Die Antwort ist, daß es nur einen gegeben hat. Er hat mir im ersten
Collegejahr das Herz gebrochen.« Sie machte eine kurze Pause. »Und du, Aidan?«
fragte sie dann. »Mit wie vielen Frauen warst du schon im Bett?«
Ein harter Zug erschien um sein
Kinn, er wirkte leicht verärgert. Dann murmelte er etwas, das wie >Diese
modernen Zeiten!< klang. Einen Augenblick später antwortete er jedoch. »Es
gab einige Tavernenhuren in meiner Jugend ...«
»Tavernenhuren?« unterbrach Neely
ihn, überrascht über die altmodische Bezeichnung, die er gebrauchte.
Aidan schien wieder ungeduldig zu
werden und wechselte abrupt das Thema. »Ich werde dir etwas Passenderes zum
Anziehen suchen«, sagte er kühl. »Maeve muß einige Sachen hinterlassen haben ...«
Maeve. Der Name beunruhigte Neely,
aber es gab schon genug, worüber sie sich den Kopf zerbrach.
Als Aidan zurückkehrte, ein Bündel
Kleider über dem Arm, hatte Neely ihre Mahlzeit beendet und die Reste in den
großen, vollkommen leeren Kühlschrank gestellt. Sie hockte mit angezogenen
Knien auf einem Fenstersitz und starrte in das immer dichter werdende Schneetreiben.
»Es ist noch etwas süßsaures
Schweinefleisch da ...«
Er lächelte. »Vampire essen nicht,
Neely. Nicht auf die gleiche Art wie Menschen jedenfalls.«
Sie verdrehte die Augen und nahm das
gefaltete Kleidungsstück, das er ihr reichte. »Also, ich bitte dich, Aidan!«
sagte sie gereizt. »Du magst zwar kein gewöhnlicher Mensch sein, das ist
ziemlich offensichtlich, aber ganz bestimmt auch kein Vampir ... oder?«
Aidans Lachen hallte durch den Raum,
tief, dunkel, sinnlich und warm.
Neely glitt von ihrem Fensterplatz
und trat hinter einen Ledersessel mit hoher, steifer Lehne. Ihre Phantasie
erfuhr plötzlich einen unglaublichen Auftrieb. »Du trinkst doch nicht etwa
Blut?«
Wieder erschien dieser traurige
Blick in seinen Augen, der unendliche Qual verriet. »Ja«, sagte er betrübt,
»ich trinke Blut. Ich hasse es — ich hasse alles, was mit meinem Vampirdasein
zusammenhängt, aber ohne Blut würde ich sterben, und dazu bin ich noch nicht
bereit.«
Sehr widerstreitende Gefühle
erfaßten Neely — während sie sich danach sehnte, Aidan in die Arme zu nehmen,
wäre sie gleichzeitig am liebsten vor ihm geflohen, so schnell und so weit sie
konnte. Aber sie wußte auch, daß sie nicht eher Ruhe finden würde, bis dieses
faszinierende Rätsel gelöst war.
»Zeig mir deinen Sarg!« sagte sie
herausfordernd.
Aidan zog eine dunkle Braue hoch.
»Wie bitte?« entgegnete er mit aufrichtiger Verwunderung.
»Wenn du ein Vampir bist, mußt du in
einem Sarg schlafen«, sagte Neely, um dem Unerklärlichen so etwas wie eine
Erklärung zu verleihen.
Aidan seufzte und verzog das
Gesicht. »Du kannst dich darauf verlassen, daß ich nicht in einem Sarg
schlafe«, erklärte er beleidigt. »Es ist kein schlechter Film, über den wir
reden, Neely, sondern die harte Wirklichkeit. Ich trinke Blut, ich schlafe
tagsüber, und ich kann tatsächlich durch einen Pflock ins Herz getötet werden.
Aber das, mein Liebling, ist auch schon alles, was ich mit einem
Hollywoodvampir gemeinsam habe!«
Sie runzelte die Stirn, versuchte
sich zu erinnern, ob sie Aidan je vor Sonnenuntergang begegnet war, und kam zu
dem Schluß, daß es nicht der Fall war. »Beruhige dich«, sagte sie und strich,
eher aus Geistesabwesenheit als aus Nervosität, mit der Zungenspitze über ihre
Lippen. »Wenn du es so sehr haßt, ein ... ein Vampir zu sein, warum bist du
dann einer geworden? Vorausgesetzt natürlich, daß du wirklich ein übernatürliches
Wesen bist.«
Aidan ließ sich seufzend auf dem
Sessel hinter seinem imposanten Schreibtisch nieder, und da fiel Neely zum
erstenmal auf, wie hager er aussah. Dunkle Schatten umrahmten seine Augen wie
Prellungen, seine Haut war blaß wie heller Marmor. »Du bist unmöglich!«
murmelte er.
Neely lächelte. »Das stimmt«, gab
sie zu und beschloß, ein bißchen zurückhaltender zu sein. Sie verließ die
Bibliothek. Im Badezimmer im Erdgeschoß vertauschte sie Aidans Hemd gegen den
hübschen blauen Kaftan, den er ihr gegeben hatte. Als sie zurückkehrte, stand
er an einem der Fenster und starrte in den verschneiten Wald hinaus.
Als Neely unsicher auf der Schwelle
stehenblieb, drehte er sich langsam zu ihr um.
»Ich muß für eine Weile ausgehen«,
sagte er ernst. »Laß niemanden ins Haus, bevor ich zurückkehre.«
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