Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
solange ich da bin, wenn sie kommen. Aber was ist,
wenn du allein bist, Neely? Wenn ich auf Jagd bin oder schlafe?«
Eine eisige Kälte stieg in Neely
auf. »Auf Jagd oder schlafen? Du liebe Güte, Aidan, jetzt machst du mir
allmählich wirklich Angst!«
Er nahm ihr das Buch aus den Händen
und legte es beiseite. »Ich hatte gehofft, nicht zu billigen Salontricks
greifen zu müssen, um dich zu überzeugen«, sagte er ruhig. »Es ist meine Geschichte,
was du gelesen hast, Neely. Das Gesicht auf der Zeichnung ist meins, das Mädchen
ist meine Zwillingsschwester Maeve ...«
»Nein!« Neely legte die Hände über
ihre Ohren.
Aidan ergriff ihre Handgelenke, zog
sie sanft herab und hielt sie fest. »Du wirst mir zuhören«, befahl er
flüsternd. »Du weißt, daß es so ist — tief in deinem Innersten weißt du, daß es
stimmt.«
Neely stieß einen tiefen, heiseren
Schluchzer aus, weil er recht hatte. So unvorstellbar dies alles war, so gern
sie die Beweise ignoriert hätte, es war einfach nicht mehr möglich. Es war kein
Traum, und niemand hatte ihr Drogen gegeben oder sie in eine hypnoseähnliche
Trance versetzt. All jene merkwürdigen Dinge, die sich ereignet hatten, seit
sie Aidan zufällig begegnet war, waren wirklich geschehen.
Aidan berührte zaghaft ihre
Ellbogen, dann ihre Schultern. Danach jedoch, anstatt sie in die Arme zu
nehmen, wie sie es gehofft hatte, trat er einige Schritte zurück. »Es tut mir
leid, Neely«, sagte er schroff. »Ich hätte dich in Ruhe lassen sollen ...«
»Aber du hast es nicht getan!« rief
sie, schaute zu ihm auf und wischte sich wütend über die feuchten Wangen. »Ich
bin fasziniert und wie verzaubert, und — möge Gott mir beistehen — ich glaube,
ich bin verliebt ... in jemanden, der nicht einmal menschlich ist! Sag mir,
Aidan, wie es nun weitergeht! Sag mir, was ich tun soll!«
Er zuckte zusammen, als hätte sie
ihn geschlagen, und schaute sie nicht an, als er leise antwortete: »Ich könnte
jetzt verschwinden, dann würdest du irgendwann über deine Gefühle hinwegkommen.
Aber das würde nichts ändern an der Tatsache, daß es dort draußen noch mehr
solcher Schufte gibt, die auf eine Chance warten, dir die Kehle
durchzuschneiden!«
Neely trat vor Aidan und schaute
ärgerlich zu ihm auf. In ihrem Schock, ihrer Verwirrung und ihrer Qual sprach
sie, ohne groß zu überlegen. »Du könntest mich in einen Vampir verwandeln«,
schlug sie vor.
Aidan schien in seinem Zorn zu
wachsen und noch höher vor ihr aufzuragen. »Das darfst du nicht einmal
aussprechen!« schrie er empört. »Du weißt ja nicht, was du da sagst! Du bittest
mich darum, verdammt zu werden, ein Ungeheuer aus dir zu machen, das sich vom
Blut anderer Lebewesen ernährt? Du forderst damit Gott heraus, sich gegen dich
zu wenden, Neely, für immer und in alle Ewigkeit!« Aidans ganze innere Qual
schwang in seinen Worten mit, und Neely, die zum ersten Mal wirklich begriff,
stockte der Atem.
Sie näherte sich ihm und legte sanft
die Hände an seine Wangen. »Aidan«, flüsterte sie, aus dem verzweifelten
Wunsch heraus, ihn zu trösten, obwohl sie wußte, daß dies unmöglich war.
Er riß sich von ihr los und wandte
sich ab. »Hast du nicht gehört, was ich sagte, Neely!« knurrte er und erinnerte
sie an einen Wolf, der sich seine eigene Pfote abbiß, um sich aus einer Falle
zu befreien. »Ich bin verflucht in alle Ewigkeit, und mich zu lieben ist, sich
gegen die Schöpfung selbst zu stellen!«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Nein, Aidan ... nein.« Es konnte doch keine Sünde sein, zu lieben?
Beide standen ganz still da, das
Schweigen hüllte sie ein wie das Läuten einer Totenglocke, eine unendlich lange
Zeit. Dann, als Neely es nicht mehr ertrug, sagte sie: »Mein Bruder ...«
Aidan trat an seinen Schreibtisch
und kehrte ihr den Rücken zu. »Schreib ihm einen Brief und erklär ihm alles, so
gut du kannst. Vergiß nur nicht, daß er mit deinen Worten bis ans Ende seiner
Tage leben muß.«
Neely nickte abwesend, sie wußte,
was Aidan meinte. Sie konnte Ben nur sagen, daß sie sich irgendwo verbarg — es
wäre eine dreiste Lüge gewesen, zu behaupten, daß sie sich in Sicherheit
befand, und es gab keinen vernünftigen Weg, ihm die schreckliche Wahrheit zu
erklären.
Sie ging nach oben in das Zimmer, in
dem sie Stunden zuvor erwacht war, knipste eine Lampe an und setzte sich an
einen kleinen Sekretär, um mit Augen, die nichts sahen, auf ein leeres Blatt
Papier zu starren.
Aidan nahm eine ziellose
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