Silberschweine
Männer, die im Begriff waren zu gehen, drückten dem Senator die Hand und folgten seinem Bruder mit düsteren Blicken.
Ich wußte, ich würde den Senator ansprechen können. Mit seinem jüngeren Bruder Publius kam ich nicht klar, aber Decimus und ich konnten jederzeit miteinander reden. Ich wartete ab.
Die beiden Brüder hatten Sosias Leben geteilt; sie teilten sich auch ihr Hinscheiden. Jetzt leitete Decimus die Zeremonie. Publius stand nur da und starrte die Überreste der Knochen auf dem Scheiterhaufen an. Währenddessen traf Sosias Onkel Vorbereitungen, die Glut mit Wein zu löschen. Auf diesen Wink entfernten sich die Trauergäste. Decimus hielt inne und wartete darauf, daß er ungestört sein würde.
Er ging mit der mechanischen Höflichkeit eines Mannes, der bei einem Begräbnis die Beileidsbezeugungen von fremden Leuten über sich ergehen läßt, auf Petronius zu. Drei Schritte vor uns blieb er stehen.
»Hauptmann, danke, daß Sie gekommen sind. Didius Falco, sagen Sie mir, ob Sie bereit sind, den Fall weiterzuverfolgen!« Kein Theater. Keine Wort davon, daß ich unseren Vertrag gekündigt hatte. Kein Entkommen.
Ich antwortete ihm mit tiefer Erbitterung.
»Ich werde weitermachen! Die Leute vom Magistrat haben sich festgefahren. In den Lagerhäusern war nichts. Niemand hat den Mann gesehen, sein Griffel läßt sich nicht identifizieren. Aber die Silberschweine werden uns am Ende zu ihm führen.«
»Was wollen Sie tun?« fragte mich der Senator mit gerunzelter Stirn.
Ich spürte, wie Petronius sein Gewicht auf den anderen Fuß verlagerte. Wir hatten nicht darüber gesprochen. Bis zu diesem Augenblick hatte ich geschwankt. Jetzt, da sie nicht mehr war, sah ich klarer. Es gab einen Weg, und ich sah ihn deutlich vor mir. In Rom hielt mich nichts mehr. Hier war kein Platz für mich, keine Freude, kein Friede.
»Senator, Rom ist zu groß. Aber der Faden, nach dem wir suchen, geht von einem kleinen Nest in einer Provinz aus, die unter strenger Militäraufsicht steht. Dort muß es viel schwerer sein, etwas zu verheimlichen, als hier. Wir waren dumm. Ich sollte schon längst unterwegs sein.«
Petro, der die Gegend so abgrundtief gehaßt hatte, konnte nicht mehr an sich halten. »O Marcus! O ihr Götter!«
»Britannien«, bestätigte ich.
Britannien im Winter. Es war schon Oktober; ich konnte von Glück sagen, wenn ich es noch schaffte, bevor die Schiffahrt eingestellt wurde. Britannien im Winter. Ich war dort gewesen, ich wußte, wie schlimm es ist. Der feine Nebel, der sich einem wie klebriger Fischleim ins Haar setzt; die Kälte, die einem in die Schultern und die Knie fährt; der Dunst über der See und die Schneestürme aus den Bergen; diese furchtbaren Monate der Dunkelheit, in denen das Morgengrauen bruchlos in die Abenddämmerung überzugehen scheint.
Es war unwichtig. Nichts war mir mehr wichtig. Je wüster die Gegend desto besser. Nichts war mehr wichtig.
TEIL II
Britannien
Winter, 70 n. Chr.
XX
Falls Sie je mit dem Gedanken spielen, hinzufahren – ich kann Ihnen nur abraten.
Wenn Sie aber aus irgendwelchen Gründen nicht drum herumkommen, dann finden Sie die Provinz Britannien jenseits der Zivilisation, im Reich der Nordwinde. Sollte Ihre Landkarte an den Rändern jedoch ein bißchen ausgefranst sein, dann ist Britannien auch nicht mehr da, und in diesem Falle kann ich nur sagen: um so besser. Auch der alte Boreas will weg von dort, und deshalb bläst er immerzu aus seinen dicken Backen – nach Süden.
Offiziell hatte ich von Camillus Verus den Auftrag, seine Tochter von dem Besuch bei ihrer Tante heimzubegleiten. Dem Senator schien aber vor allem seine jüngste Schwester, die britische Tante, am Herzen zu liegen, denn als wir darüber sprachen, meinte er: »Falco, begleiten Sie meine Tochter, sofern sie damit einverstanden ist. Ich überlasse es Ihnen, die Einzelheiten mit Helena abzusprechen.«
Aus der Art, wie er das sagte, schloß ich, daß die junge Dame etwas eigensinnig war. Er klang so unsicher, daß ich ihn rundheraus fragte: »Wird Sie denn Ihrem Rat nicht folgen? Ist mit Ihrer Tochter schwer auszukommen?«
»Sie hat eine unglückliche Ehe hinter sich!«
»Tut mir leid, das zu hören, Senator.« Die Trauer um Sosia erfüllte mich so sehr, daß ich keine Lust hatte, mich auf die Probleme von anderen Leuten einzulassen. Aber vielleicht hatte mein Schmerz mich auch offener für das Leid anderer gemacht.
»Die Scheidung war das beste für sie«, sagte er kurz und gab zu
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