Silberschweine
Soldaten und Bannern: anscheinend eine bedeutende Persönlichkeit samt der entsprechenden Eskorte, die mit großem Trara in die Stadt einzieht …«
Sie hielt meinem Blick stand. Im Beilegen von Streit war ich noch nie gut; ich spürte, wie sich die Sehnen um meinen Hals spannten.
»Didius Falco, wissen Sie, daß mein Vater und Onkel Gaius gewettet haben?« sagte Helena mit einem schwachen Lächeln. »Onkel Gaius meint, ich würde Sie im Streit entlassen; Vater dagegen meint, Sie, Falco, würden mich verlassen.«
»Diese Kerle!« sagte ich vorsichtig.
»Wir könnten sie beide widerlegen, Falco.«
»Und wer gewinnt dann?«
Sie glaubte, ich hätte es ernst gemeint, und wandte sich mit einem Ruck ab.
Das Stechen in der Magengrube diagnostizierte ich sofort als Schuldgefühl. Ich berührte ihre Wange mit einem Finger, als wäre sie Marcia, meine kleine Nichte. Sie schloß die Augen, wahrscheinlich vor Widerwillen. Der Verkehr kam wieder in Gang. Da flüsterte Helena mit bekümmerter Miene: »Ich will nicht nach Hause!«
Mein Herz fühlte mit ihr.
Ich begriff plötzlich, was sie empfand. Sie war als Braut von zu Hause fortgegangen und zur Frau herangewachsen, hatte ihren eigenen Hausstand geführt – und wahrscheinlich gut. Jetzt aber wußte sie nicht, wohin. Noch einmal heiraten wollte sie nicht; das hatte mir ihr Bruder in Germanien erzählt. Und nun mußte sie zu ihrem Vater zurück. Ein anderes Leben war in Rom für eine Frau in ihrer Situation nicht denkbar. Sie würde das nutzlose Dasein eines jungen Mädchens führen, ein Leben, dem sie längst entwachsen war. Mit ihrem Besuch in Britannien war sie diesen Aussichten für kurze Zeit entflohen. Jetzt hatte die Zukunft sie eingeholt.
Ich spürte ihre Panik. Sonst hätte sie dieses Geständnis auch nicht gemacht – jedenfalls nicht mir gegenüber.
Ich fühlte mich verantwortlich und sagte: »Sie sehen immer noch seekrank aus. Mir anvertraute Güter liefere ich gern in gesundem Zustand ab. Sie müssen ein bißchen Farbe bekommen. Ich nehme Sie mit auf die Wallanlagen und zeige Ihnen Rom!«
Wie ich auf solche verrückten Einfälle komme? Im Osten der Stadt, meilenweit von dem Haus ihres Vaters entfernt, kann man auf die hohen Wälle der alten Stadtmauer klettern. Sobald man das Gekreisch der Puppenspielerbuden, die Schausteller mit den dressierten Krallenaffen und die selbständigen Weber, die hier ihre Dienste anbieten, hinter sich gelassen hat, kommt man zu der windigen Promenade auf den uralten Servischen Befestigungen. Aber dazu mußten wir erst quer durch die Stadt, über das Forum und dann hinüber zum Esquilin. Die meisten Leute machen ihren Spaziergang von dort nach Norden, in Richtung der Porta Collina; ich dagegen war wenigstens so vernünftig, sie in die andere Richtung zu führen, so daß wir am Ende an der Via Sacra herauskamen, nicht allzu weit von ihrem Haus entfernt.
Weiß der Himmel, was die Träger dachten! Aber wenn man weiß, was diese Träger von morgens bis abends erleben, kann man es sich leicht vorstellen.
Wir stiegen die Anhöhe hinauf und schlenderten nebeneinander her. Anfang April, kurz vor der Zeit des Abendessens, waren wir hier so gut wie allein. Es war noch alles da. Diese Stadt hat auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen. Sechsstöckige Wohnblocks schraubten sich in die Höhe aus engen Straßen, wo sie in brüderlicher Mißachtung sozialer Anstandsregeln direkt neben Palästen und vornehmen Privathäusern standen. Gelbliches Licht lag über den Dächern der Tempel und schimmerte in den Fontänen der Springbrunnen. Nach der nassen Kälte Britanniens wirkte die Luft hier schon im April warm. Während wir friedlich nebeneinander hergingen, zählten wir die Sieben Hügel, und als wir auf dem Kamm des Esquilin nach Westen abbogen, wehte uns der Abendwind ins Gesicht. Er trug uns verlockende Düfte von reichhaltigen Fleischklößen zu, die auf den Herden zweifelhafter Garküchen in dunklen Soßen schmurgelten, von Austern mit Koriander in Weißweinsoße, von Schweinefleisch, das in der geschäftigen Küche eines Privathauses gleich unter uns mit Fenchel und Pfeffer schmorte. Hier oben klang der Tumult der Stadt nur noch wie fernes Rumoren: der Lärm der Ausrufer und Redner, das Knarren der Wagenladungen, die Schreie der Maultiere, die Türglocken, das Knirschen von Kies unter den Schritten eines Wachkommandos – es war das Gemurmel der Menschheit, die in dieser Stadt dichter gedrängt lebte als irgendwo sonst im Reich und im
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