Silbertod
Menschen.«
Ich sah keinen großen Unterschied zwischen Beulen und Erhöhungen, doch aus Höflichkeit verkniff ich mir eine Bemerkung.
»Und wozu?«, fragte ich.
Aluph kam um den Tisch und blieb hinter mir stehen. »Dafür gibt es viele Gründe.«
»Hauptsächlich Geldgründe«, bemerkte Mrs Hoadswood lachend.
»Einem Dummen lässt sich das Geld leicht aus der Nase ziehen«, nuschelte Beag.
Scheinbar ungerührt von all den Sticheleien musterte Aluph kritisch meinen Kopf. »Ich kann nach der individuellen Form und Beschaffenheit eines Schädels auf den Charakter eines Menschen schließen«, erklärte er stolz. »Es ist eine philosophische und naturwissenschaftliche Methode, die sogenannte Kraniologie. Außerdem geht es um ungenutztes Potenzial: Du weißt, was du im gegenwärtigen Moment bist, aber weißt du, was aus dir werden könnte?«
»Einmal weiche Birne, immer weiche Birne«, sagte Beag.
Ohne jemanden direkt anzusprechen, ergriff nun Mr Pantagus am anderen Tischende das Wort.
»Ich verstehe zwar nur wenig von der Wissenschaft der Schädelbeulen«, sagte er behutsam, »weil sich meine Sachkenntnis auf ganz andere Dinge konzentriert, aber ich muss doch Mr Buncombes unerschütterlichen Einsatz auf diesem Gebiet bewundern. Was ich von der Sache halte, sei dahingestellt, doch es gibt in dieser Stadt genügend Menschen, die sich nur zu bereitwillig etwas aus ihrem Schädelbau ablesen lassen. Ich wünsche ihm Glück und hoffe, den Leuten gefällt’s, was sie zu hören bekommen.«
»Ich kann Euch versichern, mein lieber Benedict«, sagte Aluph, »dass meine Kunden stets zufrieden sind.«
»Wie meine auch«, erwiderte Mr Pantagus, und ich sah ein kleines Zwinkern in seinem Blick.
Dann wandte sich Aluph wieder an mich. Er rümpfte ein wenig die Nase, als er meine ungekämmten Haare sah – inzwischen weiß ich, dass er an sehr viel besser frisierte Köpfe gewöhnt ist. Trotzdem ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er grub mit weit gespreizten Fingern die Hände in meine verfilzte Mähne und tastete mit den Fingerspitzen langsam über meine Stirn, über die Schädeldecke, die Schläfen und schließlich bis zum Nacken hinunter. Außer einem gelegentlichen »Ah«, »Ho-ho« oder »Hm« sagte er nichts.
»Was habt Ihr also herausgefunden?«, fragte ich gespannt.
Sorgfältig wischte sich Aluph die Hände an einem blassgrünen spitzenumsäumten Taschentuch ab, das er immer in der Westentasche hatte. »Nun«, verkündete er endlich, »deine Kopfform fällt unter den Begriff ›Dolichozephalie‹. Das heißt, er ist deutlich länger als breit.«
Ich überlegte, ob das gut oder schlecht sei.
»Daraus kann ich nun schließen«, erklärte Aluph weiter, während er an meine linke Schläfe klopfte, »dass du ein hochintelligenter Junge bist und dass du Sinn für die schönen Dinge des Lebens hast.«
»Was noch?«, fragte ich.
Aluph lächelte wohlwollend. »Mehr kann ich ohne Bezahlung leider nicht sagen.« Er sah mich hoffnungsvoll an und ich spürte, dass er ein paar Münzen erwartete, aber lange hielt seine Hoffnung nicht vor.
»Tiefschürfende Erkenntnisse, in der Tat«, bemerkte Beag grinsend.
»Mr Hickory, du als Kartoffelweitwerfer«, sagte Aluph mitlobenswerter Zurückhaltung, wobei er allerdings »Kartoffel« besonders betonte, »dürftest wohl kaum etwas Wesentliches zu diesem Gespräch beizutragen haben.«
Beag wiederum wollte sein Talent als Kartoffelweitwerfer nicht in schlechtes Licht gerückt sehen. Er stand auf und hob die geballten Fäuste. »Buncombe«, knurrte er, »wenn du nicht den Mund hältst, verschaffe ich dir eine Beule, die du noch in einem halben Jahr spüren wirst!« Er zielte mit der Faust über den Tisch und Aluph beugte sich hastig zurück.
»Aber bitte, Gentlemen«, unterbrach Mrs Hoadswood scharf und erhob sich. In ihren Augen loderte es. Ächzend ließ sich Beag wieder auf die Bank nieder und Aluph zupfte an seinen Ärmelaufschlägen. Dann stellte Mr Pantagus die Frage, die ihnen allen schon seit Tagen auf der Zunge brannte. Ich hatte gewusst, dass sie irgendwann kommen würde.
»Also, Pin, was weißt du über den Mord an Fabian Merdegrave?«
Und da erzählte ich es ihnen.
Kapitel 21
Eine Geschichte und ein Handel
D
er Grund für den Mord an Onkel Fabian liegt in der Vergangenheit. Damals, als meine Mutter erklärte, sie wolle einen Mann aus der Südstadt heiraten, gab es schrecklichen Ärger und es kam zum Bruch in der Familie Merdegrave. Großvater sagte,
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