Silentium
gelacht, daß der Brenner ihm am liebsten seinen blöden Grinser aus dem Gesicht gewischt hätte.
«Und der hat Geburtstag gehabt?»
«Glaubst du, er hätte sich Anfang Juli aufgehängt, wenn er im November Geburtstag hat?»
«Verschwinde jetzt», hat der Brenner gebrummt.
«Er begreift es nicht», hat der Sandler wieder seinen Singsang angestimmt, während er davongeschlurft ist. «Er begreift es nicht!» Weil das war eben wieder für ihn unbegreiflich, daß der Brenner wirklich glauben kann, einer von seinen Kollegen würde sich mit dreiundzwanzig weißen Taschen abgeben.
Der Sandler ist in Richtung Kirche weggegangen, und wie er am medizinischen Skelett vorbeigekommen ist, hat er salutiert und gesagt: «Herr Oswald! Abtreten!»
Aber interessant, wie der Brenner die Tür zum Waschraum aufgemacht hat, war der Sandler wieder da. Oder sagen wir einmal so. Im Waschraum hat sogar die Mutter Oberin einen kleinen Frisierspiegel zugelassen, in dem der Brenner sich jetzt nach einer Woche fast nicht wiedererkannt hätte. Er ist über den Anblick nicht besonders erfreut gewesen und hat blöd in den Spiegel hineingegrinst: «Er begreift es nicht, hahaha!»
Daß es nicht der Wetteransager war, der den Gottlieb eingepackt hat, war nicht so schwer zu begreifen. Aber er hätte gern begriffen, wer es dann wirklich war, der den Gottlieb und die Mary Ogusake auf dem Gewissen gehabt hat.
Er war jetzt hellwach, weil sieben Tage schlafen, das ist so erfrischend, quasi neugeboren. Und nach einer Viertelstunde hat er auch wieder halbwegs zivilisiert ausgesehen, weil aus irgendeinem Grund hat die Mutter Oberin ein Rasierzeug im Waschraum herumstehen gehabt, will ich jetzt gar keine Vermutungen anstellen, wozu sie das gebraucht hat, eventuell für die Zähne.
«Er begreift es nicht!» hat er beim Rasieren noch ein paarmal in den Spiegel hineingemault, «er begreift es nicht!»
Er hat sich gefragt, warum das Skelett da draußen ausgerechnet Oswald heißt. Warum nicht Hansi, Toni oder Johnny, warum nicht Nicole oder Natascha? Die richtige Lösung nicht schwer zu erraten, weil Humanismus im Marianum nicht auszurotten, sprich
os
lateinisch der Knochen, darum «Oswald» für den Knochenmann. Eigentlich, muß ich sagen, hätte der Brenner mit seiner Puntigamer Matura das ruhig wissen dürfen.
Und überhaupt nichts zu tun hat es mit dem Mörder vom John F. Kennedy gehabt, an den der Brenner jetzt die ganze Zeit gedacht hat. Und ich muß sagen, Gott sei Dank hat er da falsch getippt. Weil immer wieder interessant, daß etwas Falsches gern zu etwas Richtigem führt.
Wie er es dann endlich begriffen hat, muß er aber ein bißchen erschrocken sein. Weil er hat sich derart in die Oberlippe geschnitten, daß sein Blut in dicken Tropfen in das blitzend weiße Waschbecken gefallen ist. Und dann natürlich Schicksal voller Lauf.
11
Ich muß sagen, die drei Blutstropfen im weißen Waschbecken fast ein bißchen wie im alten Märchen, weil jeder einzelne von den drei roten Punkten ist dann für eine ekelhafte Entwicklung der Ereignisse gestanden.
Punkt 1:
Der Brenner hat in seinem Hilfspräfektenzimmer das Personalfoto mit den ausgeschnittenen Gesichtern gesucht, das er damals am Müllberg hinter der Tischlerei gefunden hat. Damit ist er in die Haustischlerei und hat den Tischler ausgequetscht. Also nicht im wörtlichen Sinn, sondern eben ausgefragt. Das Ergebnis war aber so immer noch unappetitlich genug.
Paß auf, der Haustischler hat dann zugegeben, daß er die Gesichter der Philippinen-Mädchen herausgeschnitten und in sein Sexheft über die Gesichter der Hauptdarstellerinnen geklebt hat. Eigentlich keine blöde Idee, muß ich ehrlich sagen. Den Brenner hat aber gar nicht das Sexheft interessiert. Er hat ja nur die Namen der Mädchen gebraucht. Und das Heft hat er ihm nur weggenommen, weil er ihn vorher noch gezwungen hat, daß er zu jedem Gesicht den Namen dazuschreibt.
Punkt 2:
Der Brenner ist zur Wohltätigkeitswitwe auf den Kapuzinerberg hinauf. Weil das war die einzige, wo er sich sicher war, daß sie wirklich wissen will, wer ihren Gottlieb auf dem Gewissen hat. Er hat sie gebeten, sich einen Namen aus der Liste vom Haustischler herauszusuchen.
Die Witwe: «Aber das ist ja ein furchtbares Heft.»
Der Brenner: «Einen Namen.»
Die Witwe: «Wendy Li ist der einfachste.»
Der Brenner: «Gut, nehmen Sie Wendy Li.»
Die Witwe: «Und jetzt?»
Der Brenner: «Fragen Sie unter dieser Nummer, ob Wendy Li in einer Stunde ins
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