Silentium
natürlich, gegen das Höhere kannst du mit Absperren nichts machen. Weil das Fräulein Schuh hat auf einmal ein leichtes Erdbeben gespürt.
Es war aber kein echtes Erdbeben, quasi Richterskala und Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Obwohl es ja auch in unseren Breiten immer wieder die gewissen Ausläufer gibt, und ein paar Jahre später in Salzburg sogar das furchtbare Erdbeben von Friaul noch ordentlich zu spüren gewesen, Risse in den Kirchen, große Denkmalsache, frage nicht. Aber das Erdbeben im Sommer 1963 hat sich das Fräulein Schuh nur eingebildet.
Und aus dem Felsen ist auch niemand herausgekommen. Andererseits, irgendwas muß passiert sein, sonst hätte sie ja nicht das Gefühl gehabt, hinter ihr wäre gerade der Blitz eingeschlagen. Sie hat sich umgedreht, um den John F. Kennedy zu fragen, aber große Überraschung, der John F. Kennedy ist nicht mehr dagewesen. Sondern ein wildfremder Mann ist an seiner Stelle gelegen und hat das nackte Fräulein Schuh ganz verwundert angeschaut. Das war aber kein Theatertrick, sondern eben ein Selbstmordkandidat. Der ist so weich auf dem John F. Kennedy gelandet, daß jetzt nur der John F. Kennedy tot war, aber er selber ist quietschlebendig auf einem roten Teppich gelegen, der unter ihm immer breiter herausgerieselt ist.
Später hat sich das Fräulein Schuh oft ein bißchen übersinnlich getröstet, also nicht nur Cointreau, sondern eben auch: Vielleicht hat es so sein sollen, daß er im selben Jahr stirbt wie der amerikanische Präsident. Der überlebende Mönchsberg-Springer hat dann glücklich weitergelebt, und der zahlt heute noch jedes Jahr zu Allerheiligen einen Kranz für seinen Retter, obwohl er ihn nur so kurz kennengelernt hat.
Nur damit du verstehst, warum sich beim Fräulein Schuh diese zwei verschiedenen Sachen so verknüpft haben, daß sie immer ganz ding geworden ist, wenn ihr jemand in die Felsenreitschule gehüpft ist. Warum sie jetzt so verträumt in die Felsenreitschule hinübergeschlurft ist, nachdem die Putzfrau sie angerufen hat, daß schon wieder jemand auf einen Sprung in der Felsenreitschule vorbeigeschaut hat.
Wenn sie ein bißchen schneller gegangen wäre, hätte der Brenner sie gar nicht mehr gesehen, wie sie gerade über die Einfahrt zwischen dem kleinen Haus und der Felsenreitschule geschlurft ist. Umgekehrt muß ich sagen, wenn der Brenner ein bißchen schneller getan hätte, wäre vielleicht dieser Mensch, den die Putzfrau gefunden hat, mit dem Leben davongekommen.
«Ich habe keine Zeit», hat das Fräulein Schuh ihm zugezischt, praktisch Begrüßungsworte. «Mir ist schon wieder einer in die Felsenreitschule gehüpft. Der Föhn!»
«Es ist doch gar kein Föhn.»
«Wer sagt das?»
«Mein Kopf.»
«So?»
Das Fräulein Schuh hat dem Brenner einfach den Rücken zugekehrt und die nächste Tür aufgesperrt. Wie sie da mit dem Schlüsselring geklimpert hat, das hat den Brenner auf einmal daran erinnert, wie in der ersten Nacht im Regens-Büro der Schlüsselbund in der Hose vom Sportpräfekt Fitz zu klingeln angefangen hat. Aber da hat natürlich sein Wissen jetzt schon eine gewisse Rolle gespielt.
«Wenn es Sie nicht stört, würde ich mir das gern anschauen», hat der Brenner gesagt und sich einfach hinter dem Fräulein Schuh durch die Tür gedrückt.
«So etwas ist aber kein schöner Anblick.»
«Ich weiß, wie so was aussieht.» Aber der Brenner hat jetzt noch nichts von Petting erwähnt.
«Was Sie nicht alles wissen!»
«Ich weiß sogar, wer Ihr Sohn ist.»
Das Fräulein Schuh hat gar nicht reagiert. Sie ist nur weitergeschlurft und hat mit ihrem scheppernden Schlüsselbund die nächste Tür aufgesperrt.
«Sie haben mir ja damals selber anvertraut, daß Sie ihn nach dem John F. Kennedy getauft haben. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, weil englischer Vorname John ist nicht so ungewöhnlich. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß Sie Ihrem Kind den mittleren Namen des amerikanischen Präsidenten angehängt haben.»
«Fitzgerald», hat das Fräulein Schuh stolz gelächelt.
«Dabei war ich schon am ersten Tag im Marianum ganz nahe dran. Der Präfekt mit der Hasenscharte hat mir Ihren Sohn vorgestellt. Sportpräfekt Fitz. Da hab ich zuerst geglaubt, sie reden den nicht geweihten Präfekt mit dem Vornamen an, und der alte Herr kriegt das «r» aus Fritz nicht über seine Hasenscharte.»
«Fritz!» hat das Fräulein Schuh verächtlich geschnauft.
«Darum hab ich den ganzen Abend zwanghaft auf seine
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