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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Festspielhaus kommen könnte.»
    Die Witwe: «Unter dieser Nummer?»
    Weil natürlich. Es ist ihre eigene Nummer gewesen. Drüben in der Mönchsberg-Villa. Wo dem Brenner damals ein asiatisches Mädchen fast die Tür aufgemacht hätte, wenn die Angorakatze sie nicht so herrisch zurückgepfiffen hätte. Und im Sexheft vom Haustischler hat der Brenner das Mädchen dann wiedergesehen.
    Da mußt du dir den Brenner wie eine alte Rangierlok vorstellen. Nicht leicht anzuschieben, aber wenn er einmal gerollt ist, Widerstand zwecklos. Hat die Witwe also drüben in ihrem eigenen Haus die Angorakatze angeklingelt und nach der Wendy Li gefragt. Geht in Ordnung, hat die Angorakatze geschnurrt.
    Jetzt die Flugzeuge sind heute schon sehr schnell, aber in einer Stunde kommst du nicht von Asien nach Salzburg herüber.
    Punkt 3:
    Er ist zum Kapitelplatz marschiert und hat bei der Heiratsagentur Dr. Phil. Guth geläutet. Weil er hat den Waldbrand fragen wollen, warum auf einmal Kündigungsgelüste. Aber es war niemand im Büro. Kein Ergebnis natürlich oft auch ein Ergebnis, nur hat das der Brenner in dem Moment noch nicht wissen können. Er ist nur vor der verschlossenen Tür gestanden und hat sich gewundert, wie still es in dem ganzen Haus war.
    Hundert Meter weiter dafür Mordslärm. Beim Fräulein Schuh hat das Haustelefon aus der Felsenreitschule geklingelt, grundlos mitten am Nachmittag. Da hat das Fräulein Schuh sofort dieses spezielle Gefühl gehabt. Ich möchte nicht sagen Erregung, aber ein bißchen ding. Da hätte ihr die Putzfrau am Telefon gar nicht mehr sagen müssen, daß wieder einmal ein Toter in der Felsenreitschule liegt. Das hat sie schon gespürt.
    Sie hat nervös die Schlüssel für die tausend Durchgangstüren zur Felsenreitschule gesucht, ist dabei zufällig an der Cointreau-Flasche vorbeigekommen, und dann ist sie so langsam Richtung Felsenreitschule geschlichen, daß man glauben hätte können, sie macht gar keine Schritte, sondern ihr Kniezitterer vibriert sie langsam hinüber. Grund zur Eile hat keiner bestanden, das hat sie aus jahrzehntelanger Erfahrung gewußt. Weil natürlich, die siebzig Meter freien Fall hat noch keiner überlebt. Mit der einen Ausnahme natürlich. Mit der dieser ganze siebte Sinn beim Fräulein Schuh damals angefangen hat.
    Weil du darfst eines nicht vergessen. Das Fräulein Schuh hat schon sehr jung im Festspielhaus angefangen, und zwar 1963, in dem Jahr, wo sie den John F. Kennedy erschossen haben. Und damals haben sie im Festspielhaus einen Bühnenarbeiter gehabt, der hat dem amerikanischen Präsidenten ähnlich gesehen wie ein Zwillingsbruder. Hat natürlich das junge Fräulein Schuh ein bißchen ein Auge auf den Salzburger John F. Kennedy geworfen.
    Anfang der sechziger Jahre natürlich noch nicht jede Sekretärin und jeder Bühnenarbeiter eine luxuriöse Wohnung gehabt. Jetzt haben sich die beiden gern während der Arbeit in der menschenleeren Felsenreitschule getroffen. Irgendwie vielleicht ein bißchen gespenstisch, wenn du dich vor zweitausend leeren Theatersesseln dem Liebestaumel hingibst, aber irgendwie natürlich auch ein bißchen romantisch.
    Besonders im Sommer, wenn das Dach der Felsenreitschule offen war, da sind sie auf dem von der Sonne beschienenen Bühnenboden gelegen, warm wie ein Bootssteg im Hochsommer, auf der einen Seite nichts als die leeren Stuhlreihen, auf der anderen Seite nichts als die Felswand mit den Arkaden, und über ihnen nichts als der blaue Himmel. Am Abend haben die Professionellen hier die Liebesgeschichten von dem Salzburger Wunderkind gespielt, «Zauberflöte», oder das eine Stück, das sogar in einem Bordell spielt, aber untertags Fräulein Schuh und John F. Kennedy, frage nicht.
    Und jedes einzelne Mal ist es sehr schön gewesen. Aber einmal war es doch ganz etwas Besonderes. Wo sich das junge Fräulein Schuh in ihrer Erschöpfung gerade ein bißchen von ihrem verschwitzten John F. Kennedy weggedreht und in die leeren Zuschauerreihen hineingeschaut hat, quasi leiser Schauer, wenn da in der Dunkelheit jemand sitzen würde und ihnen zugeschaut hätte. Aber so ist es im Leben, die Gefahr kommt immer aus einer anderen Richtung als erwartet.
    Genau so, wie bei den zwei Tischfußball-Buben im Marianum die Gefahr nicht über die Kellerstiege herabgekommen ist, sondern direkt aus dem Tisch, ist auch in der Felsenreitschule kein Mensch im Zuschauerraum gesessen, da hat das Fräulein Schuh ja immer dreimal geschaut, ob alles abgesperrt ist. Aber

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