Silenus: Thriller (German Edition)
denen.«
»Bitte?«
»Du denkst, ich gehöre zu denen, die euch jagen, die nach dem Licht gieren, das ihr habt.«
»Und … tun Sie das nicht?«
Der Wolf schaute ein wenig unbehaglich drein. »Nun ja, doch. Ja, ich nehme an, ich führe all diese Forschungen durch, um, tja, euch aufzuspüren und euch alle umzubringen und so weiter. Aber die Umstände sind anders, als du denkst.«
»Sind sie?«, fragte George. »Wie sind sie denn?«
Der Wolf überlegte einen Moment, lächelte und sagte: »Ich werde es dir zeigen.« Wieder erklang das schon vertraute Geräusch einer zerbrechenden Eierschale, und eine schwarze Klaue schob sich aus dem Zeigefinger des Wolfs in Rot, genau wie zuvor aus dem Finger des fetten Wolfs. Doch statt sich die Kehle aufzuschlitzen, zog der Wolf in Rot einen langen Schnitt über seinen Brustkorb. Die Brust klaffte auf, Mantel und Hemd klebten aneinander, als wären sie alle Teil derselben Umhüllung. Dann ergriff der Wolf mit jeder Hand eine Seite der aufgetrennten Hülle und sagte: »Schau.«
»Halt«, sagte George. »Was tun Sie da?«
Aber der Wolf beachtete ihn nicht und öffnete die Schnittstelle. George starrte hilflos hinein.
Unter der Haut des Wolfs lag tiefe, schreckliche Finsternis, weniger die Abwesenheit von Licht als dessen vollständige Unmöglichkeit; Licht war noch nicht erdacht, noch nicht erträumt in jenen Tiefen, in denen diese Finsternis herrschte. Und doch … da war ein kleines, glitzerndes Licht im Dunkel. Ein winziger, diamantheller Stern, der kleine Kreise in der ewigen, brodelnden Schwärze im Herzen des Wolfs beschrieb. Und George glaubte, das kleine Licht irgendwie singen zu hören …
Nein, dachte George. Das ist unmöglich …
Der Wolf schloss die Hülle. Die beiden Seiten verknüpften sich und bildeten wieder ein Ganzes. »Du hast es gesehen, nicht wahr?«
»Sie … Sie haben …«, stammelte George.
»Ja«, sagte der Wolf. »Ich habe das Licht in mir. Nur ein winzig kleines Stück davon. Es hat uns so viel Zeit gekostet, auch nur herauszufinden, was es war … wir konnten fühlen, wie es uns verletzt hat, wie es uns verbrannt und zurückgestoßen hat, aber wir konnten es nie verstehen. Es war purer Zufall, dass wir diesen winzigen Splitter entdeckt haben, verloren im tiefsten arktischen Eis, dort, wo die Schatten besonders dicht sind. Wir mussten herausfinden, was es war, was es tat. Und wir haben uns mit ihm auf die Weise befasst, auf die wir uns mit allem befassen – wir haben es gefressen.
Genauer gesagt, ich habe es gefressen«, sagte der Wolf milde. »Es ist höchst sonderbar. Ich habe niemals ›ich‹ gesagt. Ich habe immer in Form von ›wir‹ gedacht. Wir haben immer in Form von ›wir‹ gedacht. Doch seit ich dieses kleine Tröpfchen Licht verzehrt habe, haben sich die Dinge … verändert. Darum wurde beschlossen, dass ich derjenige sei, der am besten geeignet wäre, mehr über eure Truppe zu erfahren und darüber, was ihr tut, und man hat mir dieses Theater für meine Studien überlassen.«
Der Wolf bedachte George mit einem leicht irren Lächeln. »Das ist ein sehr fremdartiges Gefühl, das Licht in mir zu haben. Ich habe angefangen, Neues auszuprobieren, von Farben über Hüte bis hin zu … ja, sogar bis zu Namen . Ich habe so viele Fragen an dich, und ich bin begierig, die Antworten zu hören. Ich habe andere gefragt, aber die haben zumeist nur verwirrt reagiert … Aber schließlich wussten die nichts von den besonderen Umständen. Du schon, also kannst du mir vielleicht helfen zu verstehen und meine Studien voranzutreiben, richtig?«
George zuckte mit den Schultern. »I-in Ordnung?«
»Hervorragend«, kreischte der Wolf, riss zwei Stühle aus der vorderen Sitzreihe und stellte sie einander gegenüber in dem Orchestergraben auf. Dann schnappte er sich einen Notizblock, setzte sich auf einen der Stühle und deutete auf den anderen. George, dem das alles vage absurd vorkam, nahm Platz.
»Gut«, begann der Wolf. »Gut, gut, gut.« Er blätterte mehrere Seiten um, um die richtige Stelle zu finden. »Meine erste Frage lautet: Hast du einen Namen ?«
»Einen Namen? Ja.«
»Aha!«, sagte der Wolf und machte sich mehrere umfassende Notizen. »Und wie lautet dieser Name?«
»George.«
»Ich verstehe«, nickte der Wolf. »Und wie lange bist du schon George?«
»Wie lange? Meinen Sie, wie lange ich schon lebe?«
»Oh, warst du schon auf irgendeine Weise hier, bevor du gelebt hast?«, fragte der Wolf interessiert.
»Ich …
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