Silenus: Thriller (German Edition)
ich weiß nicht recht«, sagte George. »Ich glaube nicht.«
»Also weißt du nicht, ob du hier warst? Oder ob du vor deiner George-Zeit hier warst? Ist es dir möglich, hier zu sein, ohne es zu wissen?«
»Meine Was-Zeit? Nein, ich meine, ich wurde geboren, und dann hat man mich George genannt.«
»Also bist du nicht George«, sagte der Wolf. »George ist nur ein Name. Ein Wort. Ein Luftstrom, modifiziert durch die Bewegung in Teilen deiner Kehle.«
»Na ja, ich bin George, aber … ja. Ja und … nein.«
»Ist es möglich, dass du später George wurdest, nachdem du ursprünglich derart benamst wurdest?«, fragte der Wolf. »Was wäre passiert, hätte man dich anders benannt? Wärest du dann immer noch George?«
»Ich … ja?«
»Wirklich«, hauchte der Wolf voller Bewunderung. »Das ist alles so verwirrend.« Doch er schien mit Georges Antworten äußerst zufrieden zu sein. »Ich weiß nicht, wie ihr das alle macht. Es scheint so wunderbar komplex zu sein, viel zu komplex, um einfach zu … sein.«
»Ich … ich weiß nicht, ob ich geeignet bin, solche Fragen zu beantworten«, sagte George.
»Warum nicht?«, fragte der Wolf. »Existierst du nicht? Vertrau mir, ich wüsste es, würdest du nicht existieren. Meine Brüder und ich haben auf sehr grundlegende Art schon nicht existiert, bevor irgendetwas hat existieren können. Aber für mich hat sich das natürlich vor Kurzem geändert.« Hoffnungsvoll blickte der Wolf auf. »Verstehst du, was ich meine?«
George starrte ihn an, und ihm fiel auf, dass die Art, wie sich der Wolf kleidete und wie er sich verhielt, an Kinder erinnerte, die sich verkleideten und vorgaben, ihre eigenen Eltern zu sein, die das Gebaren von Erwachsenen nachahmten, ohne die Bedeutung des Gebarens zu verstehen. »Ich glaube, langsam wird es mir klar.«
»Das ist eine sehr aufwühlende und verwirrende Angelegenheit«, sagte der Wolf. »Aber ich habe bereits aus unserem kurzen Gespräch etwas gelernt. Deine Existenz scheint langsam und stufenweise verlaufen zu sein. Du warst nicht, und dann warst du allmählich. Aber meine ist nicht so verlaufen. Ich war nicht, und dann ist ein strahlender kleiner Kern von … von allem in mich hineingefallen. Und dann war ich. Und das ist erschreckend und schmerzhaft.«
»Wirklich?«, fragte George.
»Ja«, sagte der Wolf. »Sie brennt in mir, diese kleine Flamme, dieses Juwel. Das Licht ist mein diametrales Gegenteil, meine vollkommene Antithese. Ich hatte Glück – wäre es nur ein bisschen mehr gewesen, es hätte mich umgebracht. Und doch trage ich es in mir.«
»Aber warum tun Sie das?«, fragte George.
»Oh, dafür gibt es viele Gründe. Zum einen schenkt es all meinen Brüdern die Fähigkeit, ihm zu trotzen, wenn sie in meiner Nähe sind. Wenn dein Vater jetzt sein Licht verbreitet, werden wir nicht versengt oder gepeinigt. Und außerdem reagiere ich empfindlicher auf eben dieses Licht . Ich kann erkennen, ob es nahe ist.«
Georges Augen weiteten sich. Er gab sich Mühe, seine sich überschlagenden Gedanken zu verbergen. Er hatte gerade erfahren, wie die Wölfe sich der Wirkung der Weise entziehen und wie sie die Reiseziele der Truppe vorherahnen konnten. Aber noch besorgniserregender war, dass der Wolf, wenn er die Nähe der Weise wahrnehmen konnte, vermutlich auch wahrnehmen konnte, dass George ein großes Stück davon in sich trug. »D-das können Sie?«, fragte George.
»Ja«, sagte der Wolf und musterte ihn bohrenden Blicks und mit zusammengekniffenen Augen vom Scheitel bis zur Sohle. »So sind beispielsweise seine Rückstände und sein Einfluss an dir sehr deutlich erkennbar …«
»Sind sie?«
»Ja. Ich nehme an, das liegt daran, dass du dich so lange in seiner Gegenwart aufgehalten hast und dass du bei so vielen Vorstellungen so nahe dabei warst?«
Wieder bemühte George sich nach Kräften, seine Gefühle zu verbergen, doch dieses Mal ging es vornehmlich um Erleichterung. »J-ja, daran liegt es. Daran liegt es bestimmt.«
»Ich verstehe«, sagte der Wolf und machte sich Notizen. »Wie dem auch sei, das sind die offenkundigen Gründe dafür, dass ich dieses Stück Licht in mir trage. Aber … auf eine andere Art genieße ich es ein bisschen. Es schmerzt, aber es ist ein bittersüßer Schmerz.« Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. »Sag mir – werde ich sterben ?«
»Ob Sie was werden?«
»Sterben. Denkst du, ich werde sterben? Ich nehme an, es geht nicht anders … ich existiere jetzt, und alles, was
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