Silenus: Thriller (German Edition)
die Sitze.
»Sie stürzt ein!«, brüllte der Wolf in Rot, schnappte sich von seinen Notizen, was er tragen konnte, und spurtete hinter die Bühne.
George wollte ihm folgen, aber der näselnde Wolf stürzte hinter ihm her und packte ihn am Arm. »Wo willst du denn hin?«, geiferte er.
»Das Gebäude wird einstürzen!«, rief George. »Haben Sie nicht gehört, was er gesagt hat?«
»Du willst doch nur, dass wir das denken, oder …«
Aber weiter kam der Wolf nicht, denn der Wind schlug kreischend auf die einsturzgefährdete Mauer ein. Die Ziegel schienen sich nach innen zu krümmen, sich um die Mitte der Mauer herum in Falten zu legen, und dann gab die ganze aufgeweichte Konstruktion nach; doch während sie in einem geschmeidigen, beinahe verträumten Zug zusammenbrach, war ihre Kollision mit den Stuhlreihen verheerend. Stühle und Ziegelsteine flogen durch die Luft, brodelnde weiße Wolken pulverisierter Steine stoben durch die Gänge, und George und der näselnde Wolf wurden quer durch das Theater geschleudert.
George hustete, hob den Kopf und blinzelte durch die Staubwolken zu dem Loch hinauf, das in der Wand klaffte. Dort flammte ein weiterer Blitz auf, und George glaubte, er würde jemanden auf der anderen Seite der Trümmer stehen sehen: eine kleine, schlanke Frau mit hellblondem Haar und leuchtend grünen Augen in einem zerlumpten smaragdgrünen Kleid. Erst glaubte George, sie nicht zu kennen, doch dann erinnerte ihn etwas an ihrem Gesicht an das zierliche Mädchen in Grün … Die Frau hätte ihre große Schwester sein können, dachte er. Aber schon wogten weitere weiße Wolken im Theater auf, und das Licht des Blitzes erstarb, und sie war fort.
»Seht ihr ihn?«, röhrte die Stimme des fetten Wolfs irgendwo in der Nähe des Eingangs. »Wo ist er hin?«
»Wir können hier drin gar nichts sehen!«, brüllte der Wolf mit der näselnden Stimme auf der Bühne. »Da draußen ist etwas! Es greift das Theater an!«
»Vergesst das!«, schrie der fette Wolf. »Wir müssen nur den Jungen finden. Alles andere ist unwichtig.«
George kauerte sich hinter einen nahen Schutthaufen. Von den Sitzreihen her hörte er etwas wie ein Schnüffeln und das Geräusch von Ziegelsteinen, die unter den Füßen von etwas sehr Großem brachen. Er glaubte nicht, dass die Wölfe immer noch so höflich waren, in menschlicher Gestalt aufzutreten.
»Wir können außer Staub nichts wittern!«, sagte der näselnde Wolf. George war erleichtert, denn es hörte sich an, als wäre er auf der anderen Seite des Theaters.
»Hört auf zu reden, ihr Narren!«, befahl der fette Wolf, der hingegen sehr nahe zu sein schien. »Er wird euch hören!«
Wieder flammte ein Blitz auf. George hob den Kopf, um nach dem Mädchen in Grün zu sehen, doch zu seinem Entsetzen sah er jemanden geradewegs vor sich stehen und auf sich hinabblicken. Aber im selben Sekundenbruchteil erkannte er das wettergegerbte Gesicht und den schwarzen Schnurrbart und diese kalten, kalten blauen Augen …
»Vater?«, flüsterte er, doch schon erlosch der Blitz. George tastete vor sich herum, aber da war niemand. Hatte er sich seinen Vater nur eingebildet?
»Vielleicht ist er tot«, meinte der näselnde Wolf auf der Bühne. »Vielleicht wurde er von all diesen Steinen zerschmettert.«
»Tja, dann hofft besser, dass es nicht so ist.«
»Warum nicht, wir könnten … warten.«
»Worauf?«, fragte der fette Wolf.
Mehr Geschnüffel. »Da ist noch jemand hier außer uns«, meinte der näselnde Wolf.
»Natürlich ist noch jemand hier! Der Junge ist hier!«
»Nein«, sagte der näselnde Wolf. »Es … es ist nicht der Junge. Es ist jemand anderes .«
»Jemand anderes?«, fragte der fette Wolf. »Wer?«
»Seid still«, entgegnete der näselnde Wolf. »Wir sind nicht sicher. Wir glauben, es ist …«
Aber der näselnde Wolf brachte den Gedanken nicht mehr zu Ende. Auf der Bühne erklang ein Geräusch wie von reißendem Stoff, und etwas peitschte durch die Luft, und die Stimme des Wolfs mündete in einem entsetzlichen, würgenden, erstickten Laut.
»Was ist los?«, fragte die Stimme des fetten Wolfs. »Seid ihr noch da? Alles in Ordnung?«
Wieder zerriss ein Blitz den Himmel über ihnen, und für eine Sekunde erglühte das Theater in gleißendem weißem Licht. Es dauerte nicht lang, aber George sah jemanden auf der Bühne stehen. Es war sein Vater, und Silenus starrte nach oben, die Arme erhoben, die Finger in sonderbarem Winkel gekrümmt, so, als würde er einen
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