Silenus: Thriller (German Edition)
selbst. Aber es gab ein paar kleine Unterschiede: George fiel auf, dass Colettes Ebenbild größer und weniger muskulös war, und es fiel schwer zu erkennen, wie dunkel die Haut war. Stanleys war aufrechter als sein Schöpfer und wirkte kräftiger, jünger. Außerdem schien er (was sich George vielleicht aber auch nur einbildete) Georges Figur beständig mit einem begierigen Ausdruck in den Augen anzustarren. Georges eigene Kopie war ein hässliches, derb aussehendes Ding mit einer schlechten Haltung und ziemlich wütenden Augen. Das versetzte ihn in Erstaunen; George schrieb sich selbst so manches zu, Wut gehörte jedoch nicht dazu. Frannys Abbild hatte, was einigermaßen wunderlich erschien, keine Ähnlichkeit mit ihr selbst. Sie zeigte sich als hübsche, junge Frau mit recht harten Zügen und glattem, rotem Haar. Neben ihr stand Silenus’ Figur. Es mochte daran liegen, dass George nicht rasch genug hingeschaut hatte, denn das Ebenbild seines Vaters lag tief im Schatten und war kaum zu erkennen; aber war da nicht eine ausgestreckte Hand, die aussah, als wollte sie nach Frannys Schulter greifen?
»Ich … ich erinnere mich an sie«, flüsterte Franny hinter ihm. »Ich erinnere mich an dieses Mädchen … Es ist schon so lange her.«
»Ihr habt gute Arbeit geleistet«, sagte die Dame. »Dies sind perfekte Mischungen aus Wahrheit und Unwahrheit. Ich wünschte beinahe, diese Leute wären meine Gäste anstelle der echten Personen. War das nicht einfach?«
»Seid Ihr sicher, dass es funktionieren wird?«, fragte Silenus.
»Das wird es gewiss, wenn ich mit der Vermutung richtig liege, dass die Verfolger, die du zu täuschen wünschst, nicht … allzu vertraut mit dem normalen Leben sind«, sagte sie. »Sehe ich das richtig?«
Silenus nickte widerwillig.
»Du spielst noch immer das alte Spiel«, stellte sie fest. »Ich nehme an, dich dafür zu strafen, dass du ein Narr bist, ist nicht Teil unseres Handels. Sprechen wir darüber, wo diese Ablenkungen in Erscheinung treten sollen.« Die Dame, ihr Seneschall und Silenus zogen sich an einen Tisch am Ende der Veranda zurück und besprachen sich, bis nach einer Weile die Dame nickte und den Kopf zur Seite legte. Die Feuer wurden ein wenig kleiner, als wären das Haus und sein Grund und Boden plötzlich abgelenkt, und aus dem Wald erklang ein Rascheln und Knarren und Seufzen. Die Angehörigen der Truppe schauten sich um, doch sie konnten ihre Kreationen in dem schwächer gewordenen Licht nicht mehr sehen. Dann gab die Dame einen Seufzer von sich, und die Feuer loderten auf, und als der Feuerschein über den Wald kroch, sahen sie, dass ihre Nachbildungen verschwunden waren.
»Bis morgen dürften eure Verfolger auf der Jagd sein«, sagte die Dame. »Die Golbots werden in mehreren der geschützten Gebiete auftauchen, gerade lange genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und dann werden sie sie zu einer munteren Jagd verleiten.«
»Wir brauchen Geleit zum nächsten Ort«, sagte Silenus. »Ich möchte die Situation so gut wie möglich nutzen.«
»Ich werde es so einrichten, dass die Straße, die von der Quelle fortführt, euch hinbringt, wo immer ihr wünscht. Von da an ist alles Weitere dein Problem. Dann liegt es an dir, ob du deine Sache vermasselst oder verpfuschst.«
Silenus musterte sie finster, doch die Dame lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und blickte zum Wald hinaus. »Nun«, sagte sie, »hattest du nicht etwas von einer Vorstellung erwähnt?«
27
„ER HAT MIR LEID ZUGEFÜGT.
SCHWERES LEID.“
Die Dame bekundete, sie sei nicht daran interessiert, die ganze Vorstellung zu sehen. »Ich habe sie schon früher gesehen, und mir ist aufgefallen, dass eine Stelle frei geworden ist«, sagte sie. »Ich würde es vorziehen, eine selbst ersonnene Darbietung zu sehen.« Zu Georges und Colettes Bestürzung betraf diese Nummer ausschließlich sie, und George war überzeugt, die Dame hatte diese Auswahl getroffen, um sie zu peinigen. Sie führte sie zurück in den Salon. Der Tanzboden war nun weitgehend frei geräumt. Nur ein sperriges und sehr alt aussehendes Piano stand in der Ecke. Colette protestierte, als man ihnen sagte, es werde erwartet, dass sie aus dem Stegreif auftreten, ohne jede Vorbereitung. Doch die Dame erklärte: »Spontaneität hat mehr Einfluss auf die Dinge, als du ahnst, meine Liebe. Spontaneität, Glück und die Überzeugung, die hinter allem steht. Nun beginnt. Das Stück ist sehr populär und wurde erst vor einigen Monaten
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