Silenus: Thriller (German Edition)
derjenige, der die Weise heraufbeschwört.«
»Ich werde über dieses Thema nicht mit dir diskutieren«, sagte Silenus.
George war gekränkt. »Warum nicht? Ich bin dein Sohn, nicht wahr? Aber du verbirgst dauernd etwas vor mir. Also, warum erklärst du es mir nicht? Nur dieses eine Mal? Gib mir einen Grund.«
»Du willst einen Grund? Schön. Hast du vergessen, was du in dir trägst?«
George schwieg. Er hatte befürchtet, dass die Antwort seines Vaters so ausfallen würde.
»Ja«, fügte Silenus hinzu. »Du hast etwas sehr, sehr Wertvolles in dir, Junge, und das Letzte, was wir wollen, ist, dich ins Rampenlicht zu stellen. Und genau da wärst du dort oben auf der Bühne, ganz gleich, in welcher Funktion du sie betrittst. Die Wölfe haben ihre Spione, und die werden sich fragen, wer wohl dieser Junge ist. Haben wir den schon früher gesehen? Wo kommt der plötzlich her? Und dann fangen sie an, herumzuschnüffeln und versuchen, sich ein Bild von dir zu machen. Ist es das, was du willst? Willst du, dass all diese schwarzen Augen auf dir ruhen und dich ganz genau betrachten?«
George schüttelte den Kopf.
»Das dachte ich mir schon«, nickte Silenus. »Also, für den Moment bist du unser Geheimnis. Wir lassen dich im Orchestergraben spielen, wie wir es bisher auch getan haben. In Ordnung?«
»So ist das also«, sagte George. »Das ist alles, was ich von nun an zu sein habe. Irgendein Päckchen, das du mit dir herumschleppen und geheim halten musst.«
»So einfach ist das nicht.«
»Es hört sich aber so an. Das ist nicht in Ordnung. Wäre ich nie zu dir gekommen, hätte ich es vielleicht ganz allein auf die Bühne geschafft. Aber jetzt bin ich nur eine Last, die du mit dir herumschleppen musst, genau wie Franny.«
Silenus schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Rede nicht so über Franny! Du hast keine Ahnung, was sie durchgemacht hat! Und sie ist mir keine Last , hast du verstanden? Wenn ich dich je wieder so über sie reden höre, dann werde ich …« Als ihm Georges erschrockene Miene auffiel, verlor sich seine Stimme, und er seufzte. »Tut mir leid. Vergiss das. Hör zu, ich weiß, es gefällt dir nicht, aber ich kann weder die Zeit noch das Geld erübrigen, nur um dir eine Freude zu machen, nicht, solange so viel mehr auf dem Spiel steht. Aber du bist wichtig, begreifst du das nicht?«
»Nur nicht auf eine Art wichtig, die für dich irgendwie brauchbar wäre«, sagte George.
»Ach, verdammt«, fauchte Silenus. »Ich habe nicht darum gebeten, dass du mir unter solchen gottverfluchten Umständen geschenkt wirst, weißt du?«
»Tja, du könntest ja wenigstens versuchen, die Umstände zu verbessern!«, gab George zurück, und dann stand er auf und ging hinaus.
Für den Rest der Woche blieb das Verhältnis zwischen George und seinem Vater angespannt. George konnte Silenus’ Logik durchaus folgen, aber das bedeutete nicht, dass er sich damit zufriedengeben konnte. Er war mit großen Bühnenträumen zu seinem Vater gekommen, aber Silenus’ Truppe verwandelte sich für ihn allmählich in einen Käfig, in dem er eingesperrt war.
Aus Protest beschloss George eines Abends, nicht sein übliches Können zu zeigen. Tatsächlich beschloss er sogar, er könnte ein- oder zweimal danebengreifen oder vielleicht ein bisschen aus dem Takt kommen.
Er besaß nicht die Unverfrorenheit, Kingsleys Auftritt zu stören – diese Marionetten verunsicherten ihn viel zu sehr –, und bei Frannys Darbietung konnte jeder kleine Fehler Schaden anrichten. Also variierte er stattdessen das Tempo während Colettes Tanzdarbietung, ließ sie mit ihrer Konzertina ein wenig vorauseilen und dann wieder hinterherhinken, wodurch sie Probleme bekam, ihre Schritte richtig zu machen. Es machte ihm keinen Spaß, denn nichts bereitete ihm mehr Freude, als Colette tanzen zu sehen, aber es musste sein. Sowohl sie als auch Silenus mussten endlich begreifen, dass er entscheidender zu ihrem Erfolg beitrug, als sie dachten. Und schließlich konnte er sich später immer noch entschuldigen.
»Hab einen ziemlich schlechten Abend gehabt«, bemerkte George nach dem Auftritt gegenüber Silenus.
»Ja, das ist mir aufgefallen«, antwortete der milde. »Weißt du, ich glaube, du hast nie einen Ton nicht getroffen, seit du bei uns angefangen hast.«
»Wirklich?«, tat George überrascht. »Nie? Tja, tut mir leid, dann war es heute wohl das erste Mal.«
»Ich glaube, das wird dir bald noch viel mehr leidtun.«
»Warum?«
»Dir das zu erklären,
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