Silicon Jungle
achtunddreißig potenzielle Käufer von Luxussportwagen zu finden.
Was Sebastin betraf, so war die Saat gelegt, Türen waren geöffnet, Lichter eingeschaltet worden … Welche Analogie auch die passende war, der Abend verlief genau nach Wunsch, und sein Plan war in Gang gesetzt.
EIN NERD KOMMT SELTEN ALLEIN
April 2009.
»Und, wie findest du den neuen Titel für meine Diss?«, fragte Molly, als sie zu ihm ins Bett kroch. Stephen brauchte ein paar Minuten, um so weit wach zu werden, dass er sich auf das dicht vor seinem Gesicht hängende Blatt Papier konzentrieren konnte. »Das ist meine achte Version heute Morgen«, fügte sie hinzu, als sie sah, dass er die Augen aufschlug.
Schmutzige Wäsche:
Quantifizierung der Transformationseffekte
des Internets auf die Wahrnehmung der USA
im Nahen Osten
von
Molly Byrne
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades
der Politikwissenschaftlichen
und der Anthropologischen Fakultät
der Brown University
Providence, Rhode Island
»Beeindruckend«, sagte Stephen, während er verschlafen auf den Titel starrte. Er hatte gestern zwar versprochen, mit ihr über die neusten Dissertationspläne zu sprechen, hatte aber nicht damit gerechnet, das noch im Bett tun zu müssen. Er las die Seite erneut. »So was wär mir nie im Leben eingefallen. Wenn du wüsstest, worüber ich vor Jahren meine Diss schreiben wollte, würde ich mich schämen.«
»Das Thema ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich hatte natürlich eher an was über Migration und Kamerun gedacht. Aber das ist der Kompromiss, auf den meine Doktormutter und ich uns einigen konnten«, sagte sie und verdrehte dabei die Augen.
Sie stieg auf die Bettdecke und baute sich über ihm auf. Stephen wartete, ohne ein Wort zu sagen. »Bist du bereit, dir meine Themenbegründung anzuhören?«, fragte sie. Sie trug noch die Sachen von letzter Nacht, eine knappe babyblaue Shorts und ein enges Tanktop.
Er hielt sich an ihren glatten, nackten Beinen fest, während sie wild gestikulierend loslegte. »Vor der Erfindung des Internets gab es keine Möglichkeit herauszufinden, welchen Effekt etwas auf eine geschlossene Kultur hatte oder auf eine Stadt, die wir nicht betreten durften. Angenommen, wir hätten auf irgendeinem Dorfplatz einen Haufen Bücher verschenkt, und die Dorfbewohner hätten sich tatsächlich die Zeit genommen, sie zu lesen. Wir hätten nicht gewusst, ob sie ihnen überhaupt gefallen haben, solange wir nicht ihr verändertes Verhalten studieren konnten, und wer weiß, wie lange das gedauert hätte. Vielleicht Jahre.« Sie blickte nach unten, um sich zu vergewissern, dass er noch zuhörte. »Aber jetzt nehmen wir mal das Internet. Falls es von den Leuten angenommen wird, dann partizipieren sie auch gleich daran, kreieren eigene Websites und Blogs, verschicken Nachrichten oder suchen zumindest nach Informationen. Schon die Tatsache, dass das Internet genutzt wird, verrät uns, welchen Effekt es hat. Und das Beste daran ist, dass es ein geschlossenes System ist, das wir beobachten, überwachen und quantifizieren können. Es ist das allererste Mal in der Geschichte, dass wir dazu in der Lage sind und unmittelbare Resultate erhalten, ohne Jahre warten zu müssen.«
Endlich holte sie Luft. »Ich möchte die Erste sein, die das macht. Na los, gib schon zu, dass du das cool findest.«
Noch vor einigen Wochen, als sie sich kennenlernten, hätte er sich gescheut, sie zu kritisieren. Jetzt nicht mehr. Denn damals als Doktorand hatte er gelernt, alles zu hinterfragen, erst recht, wenn es nicht aus seinem eigenen Mund kam. »Ich finde, der Effekt ist irgendwie« – er stockte kurz, wusste, was für eine Reaktion er auslösen würde – »offensichtlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Ergebnisse allzu interessant sein werden.«
Mollys Miene verhärtete sich, und schon entwand sie ihre Beine seinen Händen, sprang vom Bett und blickte ihm in die Augen. »Nein, Stephen, das stimmt absolut nicht. Wie kannst du so was sagen? Wir wissen nicht, wie sich die Dinge entwickeln werden. Du gehst von dem aus, was du um dich herum siehst, im Silicon Valley. Hier sind die Leute bei allem, was sie im Internet lesen, skeptisch. Sie wissen, was sie glauben können und was nicht. Aber denk doch mal an andere Länder, die das Internet gerade erst entdecken. Das ist anders als hier. Moment, lass mich kurz überlegen, wie ich das ausdrücken kann, damit du es verstehst.«
Sie tigerte jetzt um das Bett herum.
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