Silicon Jungle
wenigen Konkurrenten, die Ubatoo hatte, beneideten das Unternehmen darum. Nahezu alle Universitätsprofessoren und ihre Studenten konkurrierten um die Chance, bei Ubatoo anzufangen und vor allem im Data-Mining-Team mitarbeiten zu können. Xiao hatte seine Beziehungen spielen lassen – Interviews mit dem Duo Atiq und Jaan erschienen innerhalb einer Woche im Forbes und der New York Times . Auf Anweisung Xiaos stand Atiq für das visionäre Element und Jaan für die geniale Technologie. So viel Presse erhielten moderne Zahlenjongleure nur selten. Kein Wunder, dass sich danach über dreihundertneunzig promovierte Kandidaten bewarben, die mit Atiq und Jaan zusammenarbeiten wollten.
Doch nur ein Bruchteil der Kandidaten würde Ubatoo von innen zu sehen bekommen. Höchstens einer von sechsunddreißig Bewerbern, die ihren Lebenslauf einreichten, wurde überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch bei der Touchpoints-Gruppe eingeladen. Für den Kandidaten bedeutete das eine zehnstündige Tortur. Den Vormittag über musste er seine bisherige Forschungsarbeit erläutern und darlegen, welche Forschungen er im Falle einer Einstel-lung plante. Das Themenspektrum im Bereich Informatik erstreckte sich von Anwendungen über Systemdesign bis zur Theorie. Eines der weniger beliebten Themen für die von einem Kandidaten verlangte Präsentation lautete: »Theoretische Grenzen beim Datenschutz«. Denn natürlich war jeder der zum Vorstellungsgespräch geladenen Doktoren fest davon überzeugt, dass ihre bislang noch weitgehend unüberprüften Theorien mit jeder Datenmenge fertigwürden. Diese ungerechtfertigte Zuversicht wurde ihnen nachgesehen. Keiner der Kandidaten hatte bisher mit annähernd so vielen Daten zu tun gehabt, wie sie innerhalb einer einzigen Stunde bei Ubatoo gesammelt wurden. Hätte man in dieser Hinsicht nicht ein Auge zugedrückt, wäre wahrscheinlich überhaupt kein Kandidat eingestellt worden.
Wenn der Kandidat seine Präsentation abgeschlossen hatte, musste er noch fünfundvierzig Minuten lang Fragen beantworten, bevor ihn Angehörige der Data-Mining-Gruppe zum Lunch eskortierten. Falls nicht genügend Leute verfügbar waren, um mit ihm essen zu gehen, wurden manchmal Praktikanten hinzugebeten.
Hatte der Kandidat Glück, leisteten ihm Mitarbeiter Gesellschaft, die keine Neuzugänge, das heißt länger als sechs Monate bei Ubatoo waren, denn die sorgten in der Regel dafür, dass die Präsentation, überhaupt die Arbeit, mit keinem Wort erwähnt wurde. Meistens hatten sie bereits entschieden, ob sie für eine Einstellung des Bewerbers stimmen würden oder nicht, und wollten ihn jetzt auf einer zwangloseren Ebene kennenlernen. Die Gespräche verhandelten meistens die bei Ubatoo erhältlichen Vergünstigungen, das Essen, das sie sich schmecken ließen, wie sehr sich das Unternehmen allein in den letzten sechs Monaten verändert hatte (die alten Zeiten) und dass der Bewerber es fraglos bereuen würde, wenn er, sollte er ein Angebot bekommen, trotzdem Nein sagen würde.
Aber weil die meisten in der Touchpoints-Gruppe erst seit kurzem bei Ubatoo waren, verlief so ein Lunch häufig ganz anders. In solchen Fällen artete er nicht selten in einen akademischen Wettstreit aus, oder wie Stephen es gern bezeichnete, in intellektuelle Masturbation: eine amüsante Zerstreuung, die am Ende nur einen kurzen Moment der Befriedigung brachte, aber einigen Schaden hinterließ.
Das Spiel verlief wie folgt. Kaum hatte das Essen begonnen, brachte einer der Interviewer das Gespräch auf einen unbedeutenden technischen Aspekt, der auf nicht allzu offensichtliche Weise eine Verbindung zwischen der vom Bewerber vorgestellten Arbeit und seiner eigenen herstellte. Und natürlich war der Fragesteller selbst auf dem angesprochenen Gebiet der weltweit führende Experte, dessen Genie es ihm überhaupt möglich gemacht hatte, die winzige Parallele zwischen den beiden Arbeiten zu sehen. Problematisch wurde es, wenn der Bewerber eine Ansicht äußerte, die nicht von uneingeschränkter Bewunderung für den Interviewer zeugte. Dann wurde er schonungslos mit Fragen bombardiert, damit er lernte, dass die einzig richtige Reaktion reine Ehrfurcht war. Je eher der Bewerber einknickte, desto eher nahm seine Pein ein Ende.
Die – allerdings äußerst selten eingeschlagene – Alternative war es, die Herausforderung anzunehmen und zu beweisen, dass man das Zeug hatte, sich nicht unterkriegen zu lassen. Überraschenderweise schien in solchen Fällen niemand
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