Silicon Jungle
immer.«
Sie hatte ihn rumgekriegt. Wenn sie sich nicht bei GreeneSmart begegnet wären, wäre dafür überhaupt nur ein einziger anderer Ort in Frage gekommen: ein fast lee-rer Kinosaal, in dem ein zweitklassiger Horrorfilm gezeigt wurde. Sie sahen sich alles an, vorausgesetzt es war gruselig, geschmacklos, blutig und völlig überzogen – von Aliens über Dämonen bis hin zu Kettensägen.
Noch ehe er einwilligte, seine Miene aber bereits verriet, dass die Entscheidung gefallen war, machte sie das Angebot noch unwiderstehlicher. »Ich leg sogar noch einen Quickie drauf, wenn wir zu Hause sind. Das heißt, nur für den Fall, dass du noch unentschlossen sein solltest.«
VERHANDELN UND FLÖHE HÜTEN
13. Juli 2009.
»Wie gefällt dir das Managerdasein, Jaan?«, fragte Atiq über einer Tasse dampfendem Teh Tarik – milchigem, schaumigem schwarzen Tee –, den einer von Ubatoos Köchen aus Malaysia auf Atiqs besonderen Wunsch zubereitet hatte.
Nach unzähligen Einstellungsgesprächen und Presseinterviews hatten Jaan und Atiq zum ersten Mal seit Wochen wieder Gelegenheit zu einem ihrer üblichen Vier-Augen-Treffen.
»Management ist nichts für mich, Atiq«, erwiderte Jaan. »Ich weiß nicht, wie du das schaffst. Mir persönlich wär’s lieber, man würde mich in Ruhe lassen. Ich arbeite jetzt seit einem Monat an meinem neuen Projekt, aber wegen meiner Manageraufgaben geht die Sache langsamer voran.«
»Was ist das für ein Projekt? Die Fertigstellung von Touchpoints, hoffe ich.«
»Nein, was ganz Neues. Ich überlege schon länger, womit wir unseren nächsten Durchbruch erzielen können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass Ubatoo schon eine Riesenmenge Informationen über Leute hat, die online sind. Ich möchte sehen, wie viel wir über Leute rausfinden können, die nicht online sind.« Jaan sprang zum Whiteboard und nahm sich einen Marker. »Meine Mom zum Beispiel. Die rührt nie einen Computer an. Sie hat sogar Angst davor. Normalerweise würde man meinen, dass Ubatoo über sie keine Informationen sammeln könnte, richtig?«
»Ja klar«, erwidert Atiq achselzuckend.
»Aber meine Geschwister und ich schreiben uns ständig E-Mails über unsere Eltern. Und auf einer ganzen Reihe Fotos, die wir hochladen, ist sie drauf. Es ist ganz einfach. Atiq, ich weiß nicht, wieso wir das nicht schon längst getan haben.« Jaan zeichnete jetzt Rechtecke mit Strichfiguren darin auf die Tafel und beschriftete sie mit »ich«, »Geschwister«, »Mom«. Er sprach aufgeregt weiter: »Geh nur mal versuchsweise auf eine Foto-Sharing-Seite, auf unsere oder Flickr oder irgendeine andere, und schau dir an, wie viele Fotos beschriftet sind mit ›ich und Mom‹, ›meine Mom‹ oder ›Mom und Grandma‹.« Eine weitere Strichfigur für Grandma. »Du findest Hunderttausende Fotos. Wenn wir die Frau auf ein paar Fotos, die ich hochgeladen und beschriftet habe, wiedererkennen, voilà , haben wir sie.« Er zeichnete eine Zielscheibe um die Mom-Figur. »Wir wissen, wie sie aussieht, mit wem sie auf dem Foto zu sehen ist und in welcher Beziehung sie zu der Person steht, die das Foto hochgeladen hat – also zu mir. Wir wissen, sie ist meine Mom. Wenn wir etwas über mich wissen, dann wissen wir auch etwas über sie. Wenn wir etwas über meine Geschwister wissen, was der Fall ist, dann verrät uns das noch mehr über sie. Wenn wir ein kleines bisschen mehr mit den Daten arbeiten, die wir bereits haben, erfahren wir eine ganze Menge über meine Mom. Wir müssen es bloß zusammenfügen.«
»Aber was hätten wir davon?«, fragte Atiq skeptisch.
Doch Jaan hörte gar nicht zu. »Es ist noch nicht mal besonders schwer. Wenn ich für meine Mom ein Geschenk kaufe, was mache ich? Ich kaufe es online und lasse es ihr zuschicken. Manchmal füge ich sogar eine paar persönliche Worte bei, wie ›Glückwunsch zum Geburtstag‹ oder ›Hoffe, es geht dir wieder besser‹ oder ›Ich dachte, das könntest du gebrauchen‹. Überleg mal, wie viele Informationen Ubatoo über meine Mom hat. Geburtstage, Krankheiten, ihre Vorlieben und Abneigungen, ihre Adresse, Hobbys, ihre Kinder – und dabei hat sie nicht ein einziges Mal einen Computer angerührt.«
Atiq sprang von seinem Sessel auf und nahm Jaan den Marker aus der Hand. Er zeichnete weitere Kästchen an die Tafel, in die er »Vater« und »Klassenkameraden« schrieb, und dann Pfeile, die in alle möglichen Richtungen zeigten.
»Mit dir und deinen Geschwistern ist es
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