Silicon Jungle
nicht getan. Wenn die Freundinnen deiner Mom, alte Klassenkameradinnen und dein Vater online sind und sich über deine Mom unterhalten oder Geschenke für sie kaufen, dann haben wir deren Profile und können sie ebenfalls nutzen. Mit all den Leuten, die deine Mutter kennt, wären wir bestimmt in der Lage, ein Profil von ihr zu erstellen. Inzwischen gibt es auch alte Klassenlisten und Jahrbücher online. Die liefern sicher auch jede Menge Informationen.« Atiq malte die Kreise der Zielscheibe um »Mom« schwarz aus. »Sehr schön, Jaan. Das hätten wir längst machen sollen. Es ist so naheliegend.«
Jaan lächelte ausgesprochen zufrieden.
Atiq blickte noch einen Moment länger auf das Whiteboard und stellte sich Verbindungen zwischen den Hunderten von Strichfiguren vor, die am Ende bei »Grandma« zusammenlaufen würden.
»Das ist clever, Jaan. Ich such persönlich ein paar Leute aus, die mit dir daran arbeiten«, versprach Atiq. Dann fügte er hinzu: »Aber wir halten damit lieber noch hinterm Busch, bis die PR-Abteilung sich überlegt hat, wie man die Sache positiv darstellen kann, okay?« Konzentrier dich, sagte er sich, konzentrier dich. »Aber noch mal, Jaan, du musst zusehen, dass ihr Touchpoints zum Abschluss bringt. Da verlass ich mich auf dich. Wir müssen es überall in der Firma installieren, und das geht nicht ohne dich.«
»Keine Sorge. Ich hab alles im Griff. Die Praktikanten benutzen das System schon jeden Tag, und die neuen Mitarbeiter erstellen zusätzliche Features. Es wird alles noch diesen Sommer fertig und vollständig installiert. Ich muss es nicht mehr so genau beaufsichtigen.«
Bemüht, sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen, erwiderte Atiq: »Jaan, du leitest das Projekt. Behalt es genau im Auge, okay?« Gute Informatiker geben nicht immer gute Manager ab, dachte Atiq bei sich. Er nahm sich vor, Jaans Management-Aufgaben bald jemand anderem zu übertragen.
»Übrigens, wie machen sich die Praktikanten?«, fragte Atiq. Es war das erste Mal, dass sie seit der Telefonkonferenz wegen Aarti und William über sie sprachen.
»Die machen sich prima. Ich spreche nicht oft mit ihnen – mein neues Projekt nimmt mich so in Anspruch. Wir kommunizieren meistens. Bislang haben sie die Projekte immer zügig abgewickelt, also gehe ich davon aus, dass alles gut läuft. Keine Sorge, ich nehm sie ordentlich ran«, sagte Jaan mit einem Grinsen.
»Ich hoffe, du mutest ihnen nicht zu viel zu. Wann hast du zuletzt persönlich mit ihnen gesprochen?«
»Atiq, es sind Praktikanten. Mach dir ihretwegen keinen Kopf. Wir können uns jederzeit Nachschub besorgen«, witzelte Jaan.
Atiq lächelte nicht.
»Ich hab die erste Woche mit ihnen zusammengearbeitet. Die sind auf Draht«, schob Jaan in ernsterem Tonfall nach.
»Jaan, wie wär’s, wenn du öfter persönlich mit ihnen sprichst? Wäre vielleicht auch nicht schlecht, ihnen ein paar interessantere Projekte anzubieten. Ich will nicht, dass sie sich langweilen und den ganzen Sommer über irgendwas Sinnloses machen.«
»Okay, ich erkundige mich, woran sie gerade arbeiten. Lass mir nur noch ein bisschen Zeit, mit meinem Projekt weiter voranzukommen, dann vereinbare ich regelmäßige Meetings mit ihnen.«
Management mittels Verhandlung – mehr Druck konnte Atiq nicht riskieren. Stell die hellsten Köpfe ein und hüte sie wie einen Sack Flöhe. Machst du zu viel Druck, gehen sie zur Konkurrenz, die sie mit offenen Armen empfängt, ehe die Tinte auf der Kündigung getrocknet ist. Ubatoos Unternehmenskultur ließ keine direktere Art der Anweisung zu, es sei denn, natürlich, sie kam von Xiao.
DIE JENNY-ENTDECKUNG
15. Juli 2009.
Innerhalb weniger Tage nach der »Jenny-Entdeckung« wurde zu Jennys Ehren ein Schwarzes Brett angelegt (nichts Elektronisches, sondern ein echtes, altmodisches Schwarzes Brett, das an der Wand hing). Obwohl es leicht als unmenschliche Tortur für Rob hätte ausgelegt werden können, sollte es nach Ansicht der anderen Praktikanten der Katharsis und öffentlichen Therapie dienen. Zu diesem Zweck wurden Ausdrucke aller E -Mails von Jenny daran gepinnt, die auch nur andeutungsweise sexy waren oder als sexy ausgelegt werden konnten. Doch schon wenige Stunden nachdem das Brett im Praktikantenbereich aufgehängt worden war und jeder Praktikant die E-Mails gelesen hatte, schien sich kein Mensch mehr dafür zu interessieren.
Kohan, der die Betreuung des Bretts übernommen hatte, war nicht gewillt, es kampflos sterben zu lassen. Zum
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