Silo: Roman (German Edition)
andere leichter anheben. Sie spürte, wie die Muskeln in
ihrem Bauch und an ihren Schenkeln – schmerzende Muskeln nach all den Wochen,
in denen sie umhergehetzt war wie ein professioneller Träger – ihr nun halfen,
ihren eigenen verdammten Fuß zu heben.
Erleichtert
schüttelte sie den Kopf, der Schweiß lief ihr am Nacken hinunter, sie fürchtete
sich bereits, das Manöver auf dem Rückweg noch einmal wiederholen zu müssen.
Sie ließ sich auf die andere Seite hinunterfallen, was keine Mühe kostete, die
Gewichte zogen sie hinab. Sie brauchte einen Moment, um sich zu vergewissern,
dass die Kabel um ihr Handgelenk und der Atemschlauch an ihrem Kragen sich
nicht verheddert hatten, dann ging sie durch den Hauptkorridor. Ihre Stirnlampe
warf das einzige Licht.
Bist du okay? Solos Stimme erschreckte sie abermals.
Bestens , sagte sie und drückte das Kinn auf ihre
Brust, damit der Kontakt offen blieb. Ich melde mich, wenn ich dich brauche.
Hier unten ist deine Stimme ziemlich laut, ich sterbe jedes Mal vor Schreck.
Sie ließ den Kontakt
los und überprüfte ihre Rettungsleine. An der Decke tanzten ihre
Überdruckblasen im Schein der Stirnlampe wie kleine Edelsteine.
Okay, alles klar! , brüllte Solo.
Sie ging langsam
weiter durch den Mittelgang und vorbei am Speisesaal, sie setzte einen Fuß vor
den anderen, ihre Stiefel hoben sich kaum vom Boden ab. Links würde sie zu
Walkers Werkstatt kommen, wenn sie durch den Flur ging und zweimal abbog. War
das immer eine Werkstatt gewesen? Sie wusste es nicht. In diesem Silo war es
womöglich ein Lagerraum oder eine Wohnung.
Zu ihrem eigenen
kleinen Zimmer würde es in die entgegengesetzte Richtung gehen. Sie drehte sich
um und spähte in diesen Flur hinein. Der Lichtkegel fiel auf eine Leiche, die
zwischen den Rohren und Leitungen an der Decke hing. Juliette wandte den Blick
ab. Es war so leicht, sich vorzustellen, dass es sich bei diesem leblosen
Körper um Scottie oder George oder jemand anderen handelte, der ihr lieb
gewesen war und den sie inzwischen verloren hatte. Es war leicht, sich
vorzustellen, dass sie selbst das war.
Sie schlurfte zur
Seitentreppe, wankte durch das dichte, aber kristallklare Wasser. Das Gewicht
ihrer Stiefel und der Auftrieb an ihrem Oberkörper hielten sie aufrecht.
Oberhalb der quadratischen Stufen, die innerhalb der Mechanik weiter nach unten
führten, blieb sie stehen.
Ich gehe jetzt
runter ,
sagte sie mit gesenktem Kinn. Pass auf, dass ich weiter mit Luft versorgt
werde. Und sag bitte nichts, es sei denn, es gibt ein Problem. Mir klingeln
noch immer die Ohren von deinem letzten Funkspruch.
Juliette hob das
Kinn vom Schalter und machte die ersten Schritte. Sie wartete, ob Solo ihr
etwas ins Ohr schreien würde, aber er sagte nichts. Fest umklammerte sie das
Kabel und den Luftschlauch und zog beides zusammen beim Abstieg in die
Dunkelheit um die scharfen Ecken der Treppe herum. Das schwarze Wasser vor ihr
wurde nur von den aufsteigenden Bläschen und dem tastenden Schein ihrer Lampe
durchbrochen.
Sechs Stockwerke
tiefer ließen sich Schlauch und Kabel nur noch mühsam ziehen. Die Stufen
verursachten zu viel Reibung. Sie prüfte die mit Klebstoff und Klebeband
zusammengefügten Verbindungsstellen der Luftleitung, um zu sehen, ob sie noch
hielten. Aus einer Nahtstelle strömten winzige Bläschen und hinterließen eine
perforierte Wellenlinie aus kleinen Punkten in dem dunklen Wasser.
Als sie schließlich
ausreichend Spiel und Länge bis zum Sickerbecken heruntergezogen hatte, drehte
sie sich um und machte sich entschlossen auf den Weg zur Arbeit. Der
schwierigste Teil lag hinter ihr. Kühl und frisch floss die Luft in ihren Helm,
zischte an ihren Ohren vorbei. Sie hatte das Gefühl, sich endlich entspannen zu
können, nachdem sie wusste, dass es nicht mehr weiter in die Tiefe ging. Nun
musste sie nur noch die Stromleitungen anschließen – zwei einfache Anschlüsse –, dann konnte sie zurückkehren.
Sie dachte noch
einmal daran, wie sie die Räume der Mechanik freilegen, wie sie einen Generator
zum Leben erwecken und dann einen dieser Bagger in Betrieb nehmen würde. Solo
und sie machten Fortschritte. Juliette war auf dem Weg, ihre Freunde zu retten.
Alles erschien plötzlich machbar, nach wochenlangen frustrierenden Rückschlägen
schien es endlich voranzugehen.
Juliette fand die
Pumpe genau dort, wo sie sein sollte. Sie schob ihre Stiefel zum Rand des
Beckens. Als sie sich vorbeugte, beleuchtete ihre Stirnlampe die Ziffern,
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