Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
Vom Netzwerk:
oder gar die von ihm jahrelang praktizierte Bewegungsabstinenz? Plotek wusste es nicht. Was er wusste, war, dass da nicht nur ein Gedanke, wie angestrebt, in seinem Kopf hausierte. Es war ein ganzes Rudel! Der Hunger-Gedanke war da. Außerdem der Frau-Wehrli-Gedanke. Der Marlies-Gedanke zusammen mit dem Ein-Kilo-pro-Tag-Gedanken. Auch der Gedanke an das Reh kurvte zeitweilig kreuz und quer in seinem Kopf wie auf einer Carrera-Bahn herum. Und zu guter Letzt gesellte sich ein nicht zu ignorierender Gedanke an das neckische weiße T-Shirt der Qigong-Therapeutin, unter dem sich ihre spitzen Brüste vorwitzig abzeichneten, zu all den anderen hinzu.
    »Wird schon«, flüsterte Marlies ihm zu. Sie zwinkerte auffällig mit dem rechten Auge und schien ihrer Verbindung zwischen Himmel und Erde gewiss. Dabei machte sich bei Plotek ein weiterer Gedanke breit, nämlich: Wenn das, was Marlies da fabriziert, bereits die Verbindung sein soll, dann bin ich ebenfalls auf direktem Wege dorthin. Soll heißen: Das, was Marlies da auf ihrer Matte veranstaltete, erinnerte eindeutig an die Koordinationsschwierigkeiten eines Parkinson-Erkrankten. Verbunden mit dem eigenen Zittern. Das schien dann doch ein Gedanke zu viel für Plotek gewesen zu sein. Folge: Er verlor gänzlich das Gleichgewicht, schwankte, strauchelte und knallte mit einem lauten Schlag auf die dünne Gummimatte. Dabei verzog er sich den Rücken und verstauchte sich – den Schmerzen nach zu urteilen – den linken Knöchel.
    »Scheiße!« Er blieb liegen.
    »Nicht so schlimm«, sagte die Therapeutin, die hurtig herbeigeeilt kam. Aber Pech gehabt. Doch schlimm. Plotek kam nämlich trotz nur noch eines einzigen Gedankens im Kopf und unter Zuhilfenahme seines kompletten Willens von der kleinen Gummimatte nicht mehr hoch. Nur mit der Unterstützung der Therapeutin mit den spitzen Brüsten, auf deren T-Shirt in Brusthöhe ein Sticker mit der Aufschrift Britta befestigt war, und der dicken Marlies konnte Plotek der Horizontalen und somit der Erde entrissen werden. Ohne allerdings in den Himmel zu gelangen. Vielmehr in das Vorzimmer der Hölle. Soll heißen: stechende Schmerzen in Rücken und Fuß.
    »Machen Sie erst mal eine kleine Pause«, sagte Britta, während die Brüste unter dem T-Shirt zappelten, sodass in Ploteks Kopf wieder nur mehr ein einziger Gedanke war. Der aber schädelfüllend. Auch das ist Qigong, hätte er jetzt denken können, wenn er an etwas anderes als an die zappelnden Brüste gedacht hätte.
    Begleitet und gestützt von Britta wurde Plotek aus dem Gymnastiksaal in einen sphärisch beleuchteten Raum – überall indirektes, warmes Licht –, in dem eine Liege stand, geführt. Mithilfe aller Britta-Kräfte legte sich Plotek stöhnend auf die weiße Lederliege. Mit »Der Herr Doktor kommt gleich« verabschiedete sich die Therapeutin und machte sich zurück zu den Qigonglern.
    Nicht viel später widmete sich Dr. Wehrli höchstpersönlich Plotek, ohne auf den kleinen Zwischenfall im Gymnastiksaal auch nur mit einem einzigen Wort einzugehen, und rammte ihm Akupunkturnadeln ins Fleisch. Und Überraschung: Es tat gar nicht weh. Ein angenehmes Kribbeln war an den Einstichstellen in Armen, Beinen und Stirn zu spüren. Als ob über die verpflanzten Nadeln eine Verbindung zwischen ihm und der Liege erfolgen würde. Und von dort hoch zur Decke. Ins weiche, warme Licht. Es strömte, floss und zirkulierte.
    »Schließen Sie die Augen und geben Sie sich dem Fluss h in«, sagte Dr. Wehrli und dimmte dabei das Licht, als wäre es der Startschuss zu einer heiteren Floßfahrt, noch weiter hinunter. »Ich komme in zwanzig Minuten wieder.«
    Schon war er verschwunden. Plotek war allein, mit sich, den Nadeln und den Gedanken, die sich nun ebenfalls verabschiedeten. Er dachte an nichts mehr. Außer an das Reh. Ja, das tote Reh war wieder zurück. In den Gedanken. Zuerst noch freudig hüpfend und quietschfidel auf einer Blumenwiese. Dann nicht mehr hüpfend, auch nicht mehr quietschfidel, sondern ziemlich hinüber an ein riesiges Hol zkreuz genagelt. Nägel wie Nadeln. Das Reh sah schon fast wie tot aus, konnte aber erstaunlicherweise noch sprechen.
    »Mein Vater, warum hast du mich verlassen?!«, sagte es in vorwurfsvollem Tonfall. Was sich für Plotek so anhörte, als steckten jetzt auch in seinen Ohren Nadeln. Es vibrierte und zirpte.
    »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Das hatte was von James Dean. Sein vorletzter Film. Danach ging er in die ewigen

Weitere Kostenlose Bücher