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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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der Rezeption.«
    »Aber wo kann man denn angeln?«, wollte Plotek wissen und dachte: Hat der Doktor nicht eben erwähnt, dass auf dem See sogar Langlaufski gefahren werden kann? Folglich müsste der See doch zugefroren sein. Der Doktor lächelte, als könnte er Ploteks Gedanken erraten.
    »Auf dem Silsersee gleich bei der Chastè-Halbinsel ist das Eis nicht ganz so dick. Es müssten auch ein paar Löcher ins Eis geschlagen sein. Da können Sie die Angel hineinhängen. Wenn nicht, einfach den Pickel benutzen, der liegt an einer Kette befestigt daneben.«
    Wieder dieses süffisante Lächeln des Doktors, als wäre der Pickel ein Plug für den Allerwertesten und die Kette hinge an demselben.
    Dr. Wehrli legte die Hand nun abermals auf Ploteks Schulter und begleitete ihn hinaus auf den Flur. Da blieb er noch einmal kurz stehen. »Haben Sie schon mal geangelt?«
    War eher eine rhetorische Frage. Männer wie Plotek angeln nicht. Sie essen Fleisch, selten Fisch, ja, aber angeln – vergiss es. Plotek schüttelte vehement den Kopf.
    »Habe ich mir beinahe gedacht. Macht aber nichts. Ist kinderleicht. Sie halten einfach die Angelschnur mit dem Köder ins Wasser und warten. Beim Angeln geht es nicht um das Fangen, nicht um den Fisch, sondern um das Warten. Um die Zeit, die kommt und geht, wie der Atem. Ideal für unsere Therapie.«
    Hoffentlich scheitert das Unterfangen nicht schon am Loch im Eis, dachte Plotek.
    Dr. Wehrli gab ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter wie ein Angelprofi dem gefangenen Fisch. »Sie werden sehen, die Luft tut Ihnen gut, und das Angeln beruhigt.« Dann ließ er ihn stehen und ging den Flur entlang. Nach ein paar Metern hielt er abrupt an.
    »Ach so, Herr Plotek, das habe ich jetzt beinahe vergessen: keine Zigaretten, kein Alkohol, ja? Und nichts außer Plan essen, also nichts, was Sie hier nicht bekommen. Versprechen Sie das?«
    Stechender Blick von Dr. Wehrli. Da blieb Plotek gar nichts anderes übrig, als zu nicken.
    »Sie haben zwei Möglichkeiten, nämlich …« Dr. Wehrli machte eine kurze Pause und taxierte Plotek weiterhin: »… das hier ernst zu nehmen oder das Ganze sofort zu beenden.«
    Er hatte wieder zwei Schritte auf Plotek zugemacht und stand jetzt ganz dicht vor ihm. »Natürlich hat das, was wir hier machen, auch mit Glauben zu tun: Glauben im Sinne von annehmen, sich darauf einlassen, mit der Überzeugung, dass es hilft. Ich weiß, Sie zweifeln. Alle zweifeln am Anfang. Aber in dem Moment, wo Sie in sich hineinspüren, werden Sie merken, dass es Ihnen guttut. Der Körper merkt es. Auch wenn der Geist zunächst noch misstrauisch ist.« Er berührte erneut Ploteks Schulter, was beinahe freundschaftlich wirkte. Dann fragte er: »Wie haben Sie geschlafen?«
    »Gut.«
    »Sehen Sie, normalerweise schlafen Sie nicht gut, um nicht zu sagen: katastrophal schlecht. Und gestern Nacht wie ein unschuldiges Baby.« Es klang wie die wissenschaftliche Beweisführung für sein transzendentes Medium.
    »Das sind die ersten Anzeichen. Es geht bergauf, Herr Plotek.« Er wandte sich zum Gehen, hielt aber erneut inne. »Jetzt würde ich Sie bitten, Ihren Mittagstrunk einzunehmen, und dann raus in die Natur!«
    Irgendwie hatte Wehrlis Ansprache etwas von einem Grundschullehrer, der seinem hoffnungslosen Problemschüler, bei dem jegliche disziplinarischen Maßnahmen versagt hatten, einen letzten Motivationsschub verpassen wollte, bevor er in die Lernbehindertenanstalt abgeschoben würde.
    Nachdem er die Mittagsplörre hinuntergewürgt hatte, machte sich Plotek gegen elf Uhr auf den Weg zu Vinzi. Vorher wollte er aber noch einen Blick auf das tote Reh werfen, das ihn beim Qigong und auch im Schlaf nicht in Ruhe gelassen hatte. Aber keine Chance! Als er den Kofferraumdeckel öffnete, erwartete ihn eine gähnende Leere. Kein Reh, auch kein totes. Nirgends.
    »Verdammt!«
    Plotek konnte sich nicht erklären, wohin das Reh verschwunden war. Er schloss den Kofferraumdeckel wieder. Dabei spürte er ein leichtes Zucken über dem rechten Auge. Ob es da einen Zusammenhang gibt, fragte sich Plotek und zog mit einer Angelrute bewaffnet Richtung Hotel Zentral los. Er kam sich mit der Rute auf der Schulter schon ein wenig seltsam vor. Manch ein Tourist, dem Plotek auf den Straßen von Sils Maria begegnete, sah ihm lächelnd, auch kopfschüttelnd hinterher, als würde er keine Angelrute tragen, sondern eine überdimensionierte CB -Funkantenne, um mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen. Angeln schien um diese

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