Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
ein kleiner, ebenerdiger Raum, in dem nur ein Bett, ein kleiner Tisch und ein Stuhl standen. Hinter einer Schiebetür befanden sich die Dusche und das Klo. Das Zimmer erinnerte ein wenig an eine Zelle in einem Kloster. Nur war auch hier alles weiß und in indirektes Licht gehüllt. Es strahlte förmlich. Und es roch, wie auch schon zuvor in den Fluren, nach exotischen Gerüchen.
»Hier werden Sie sicher ein wenig zur Ruhe kommen.«
Kaum hatte Dr. Wehrli es gesagt, merkte Plotek schon, wie er müde wurde. Er stellte seine Tasche neben dem Bett ab.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Plotek trottete dem Arzt hinterher, der auf den Flur hinausgetreten war und nun wieder anfing, im Gehen zu dozieren.
»Ein wesentlicher Bestandteil unserer Therapie ist Gewinn durch Verzicht sozusagen. Ernährung auf Sparflamme. Das hat zur Folge, dass Sie ein paar Kilo des lästigen Übergewichts verlieren werden. Aber viel wichtiger ist, dass das Fasten frei macht. Nicht nur den Darm, auch den Kopf.«
Hat er gerade Fasten gesagt?, dachte Plotek. Ihm wurde angst und bange.
»Die Voraussetzung dafür ist zunächst mal eine Darmentleerung.«
Ploteks Angst nahm zu, während Dr. Wehrli eine Tür öffnete. Sie kamen in eine ebenfalls in indirektes, warmes Licht getauchte Küche, die gar nicht wie eine Küche aussah, sondern vielmehr wie ein Labor. Dort holte der Doktor ein Glas mit einer trüben Flüssigkeit aus dem Kühlschrank und stellte es auf die Anrichte.
»Trinken Sie.«
Der Doktor fixierte ihn, als wollte er signalisieren: Widerspruch ist zwecklos. Griff Plotek eben nach dem Glas und verharrte für einen kurzen Moment.
»Na, machen Sie schon.« Dr. Wehrlis Blick war so schneidig wie ein Schwert. Kein Zwinkern, nirgends. »Ist ein wenig bitter, aber ansonsten gar nicht übel.«
Plotek kippte die Brühe in einem Zug die Kehle hinunter.
»Brav«, sagte der Doktor, als wäre Plotek ein Kind und auf derartige Komplimente angewiesen.
»So, jetzt wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.« Ein verschmitztes Lächeln wurde vom Doktor hinterhergeschickt. »Keine Angst, in ein paar Stunden ist es vorbei, und Sie fühlen sich entleert.«
Als wäre das der Auftakt zum bevorstehenden Konzert in den Eingeweiden, fing es in seinem Magen schon an zu rumoren.
»Wir fangen morgen früh erst mal mit leichten Übungen und einem Entlastungstag an.«
»Wann?«
»Halb sieben aufstehen, Tee, bisschen Obst vielleicht, und dann geht es los.«
Halb sieben, dachte Plotek und dann: mitten in der Nacht.
»Sie finden zurück?« Der Doktor war schon wieder auf dem Flur.
Nicken von Plotek.
»Schlafen Sie schön.«
»Ja.«
»Gute Nacht.«
»Auch.«
Schon war Dr. Wehrli verschwunden.
Plotek schaffte es gerade noch zurück in sein Zimmer und dort aufs Klo, schon ging das Konzert mit Pauken und Trompeten los. Da blieb er dann die nächsten zwei Stunden auch sitzen. Bis er den Eindruck hatte, sich gänzlich entleert zu haben. Anschließend stellte er sich kurz unter die Dusche und legte sich nackt ins Bett. Das Plumeau roch nach Schnee. Er löschte das Licht und sah zum großen zweiflügligen Fenster, in dem der Mond prall wie ein Pfannkuchen in der rechten oberen Ecke hing und ins Zimmer guckte. Sie beobachteten sich gegenseitig, während Ploteks Magen ihn langsam in den Schlaf knurrte. Und Überraschung: Der Schlaf war so tief und fest wie schon lange nicht mehr. Mit durchdringenden Träumen. Positiven Träumen. Das war auch etwas ganz Neues für Plotek. Ob das schon am entleerten Darm lag? Am ausgehungerten Leib? Oder an der Schweizer Bergluft? Er träumte von einem Reh mit engelhaften Gesichtszügen. Da war ein wenig von Frau Wehrli im Tier. Es war ein Wehrli-Reh, das in einem unnatürlich grün wirkenden Wald herumhüpfte und dabei richtig glücklich aussah. Das glücklichste Reh auf der ganzen Welt.
Lachend wachte Plotek auf. Auch bedingt durch ein zuerst dezentes, dann weniger rücksichtsvolles Klopfen an der Tür. Schließlich schob sich ein Kopf durch den geöffneten Spalt.
»Herr Plotek, es wäre so weit.«
Was so weit wäre, sagte der Kopf allerdings nicht, sondern zog sich gleich wieder zurück.
Der Mond am Fenster war verschwunden. Dafür hing jetzt ein eisiger, trabantblauer Himmel vor der Glasscheibe, und eine morgendliche Sonne strahlte herein, als wäre jede Minute, die er länger im Bett verweilte, ein Vergehen gegenüber dem Tag.
Stand Plotek eben auf.
3
Trotz dieser Herrgottsfrühe fühlte sich Plotek ausgeschlafen, erholt,
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