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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Vorschein, wie vielleicht gedacht. Auch keine Dreckklumpen. Das, was von dem warmen Urinstrahl freigelegt wurde, sah irgendwie komisch aus. Es sah irgendwie aus nach, nach … Haut! Nach der Haut von einem Schenkel. Dem Schenkel von einem Menschen.
    »Vinziiiii!!!«
    Es dauerte nicht lange, da stand Vinzi auf seinen Stummelbeinen verdutzt neben Plotek und sah auf den Schenkel.
    »Verfluchte Scheiße!«, war das Erste, was aus Vinzis Mund kam.
    Dann legte er das zum Schenkel Gehörende frei. Was natürlich ganz gut ging, da sich Vinzi aufgrund seiner verminderten Größe nicht einmal hinknien musste. Ein Bein kam jetzt zum Vorschein, noch eins, ein Korpus, zwei Arme und schließlich ein Kopf.
    »Verfluchte Scheiße!«, war das Zweite, was aus Vinzis Mund kam, und dann, ähnlich entsetzt: »Ich werd verrückt, das ist das Mädchen!«
    »Welches Mädchen?«, hätte jetzt Plotek fragen können. Musste er aber nicht. Er wusste es auch so.
    »Und die ist nackt.«
    Tatsächlich: Das Mädchen, das mit den beiden am Vortag bis nach Sils Maria unterwegs gewesen war, lag nun fast nackt, nur in verrutschter Unterhose, im Schnee und sah aus, als schliefe es.
    Wie das Reh, dachte Plotek, einerseits. Und andererseits: irgendwie auch schön. Ein schönes Mädchen. Nackt noch schöner als angezogen. Viel schöner sogar. Perfekte Brüste, ansehnlicher Bauch, geschmeidige Schultern und ein Geschlecht wie gemalt. Von einem ganz begabten Maler.
    »Eine schöne Leiche«, sagte Vinzi, wie man sagt: »Eigentlich schade um so ein schönes Mädchen.« Dann sagten beide eine Zeit lang nichts mehr. Bis Vinzi schließlich fragte: »Was hat das zu bedeuten?«
    Plotek hob völlig überfordert die Schultern. Dabei zuck te es nun nicht mehr über seinem rechten, sondern über seinem linken Auge.
    »Wo sind ihre Kleider? Als wir sie zuletzt gesehen haben, hatte sie doch noch was an, oder?« Mehr rhetorische Frage als ernst gemeinter Hinweis.
    Wieder angehobene Schultern von Plotek.
    »Scheint ein Gewaltverbrechen zu sein …«
    »Sieht so aus.«
    »Vielleicht vergewaltigt und dann umgebracht.«
    »Oder andersrum.«
    »Kann ich helfen?« Es war einer der Ski laufenden Lehrer, der jetzt im Rücken der beiden auftauchte. Ohne Ski.
    »Tja, dem Mädchen ist leider nicht mehr zu helfen«, sagte Vinzi und gab den Blick auf die Leiche frei.
    »O Gott!« Der Lehrer erbleichte.
    »Haben Sie ein Mobiltelefon?«, fragte Plotek.
    »Ja, klar. Ich, ich, ich ruf die, die, die Rettung …«
    »Für die Rettung ist es zu spät, aber die Polizei …«, kam von Vinzi.
    Dann Kreischen. Hinter dem Lehrer stand jetzt sein Kollege. Dahinter die fünfzehn ungefähr fünfzehnjährigen Mädchen, die schrien, als wären sie das Opfer und gleich tot. Plotek blieb gar nichts anderes übrig, als sich die Ohren zuzuhalten. Einige der Schülerinnen zeigten abwechselnd auf Plotek und Vinzi und glaubten offenbar, den Mörder überführt zu haben. Die Lehrer scheiterten kläglich bei dem Versuch, die Mädchen halbwegs zu beruhigen. Mit den gerne bei hysterischen Menschen verwendeten Argumentationen wie »Ist doch alles halb so schlimm« und »Wird schon wieder« kamen sie jetzt nicht weiter. Es wurde nicht. Denn schlimmer ging’s nimmer.
    Die verheulten, von verlaufener Schminke verunstalteten Gesichter der Mädchen sahen aus wie Fratzen aus einem japanischen Manga. Auch ein wenig komisch. Weshalb Plotek sogar ein bisschen lachen musste.
    Das verging ihm aber wieder, als der Dorfpolizist auf einem Motorroller, an dem ein großer Holzschlitten schlenkerte, am See auftauchte. Wobei das auch ein wenig zum Lachen gewesen wäre. Was an der Gestalt des Polizisten lag. Er sah in seiner abgetragenen, speckig-grauen Uniform aus, als wäre er einem Schwarz-Weiß-Film von Federico Fellini en tsprungen. Und er sah nicht nur so aus, er schien sich auch so zu fühlen. Einer anderen Zeit zugehörig. Heimisch in einer anderen Welt.
    Jetzt muss man wissen, dass der Dorfpolizist Linard Jäggi eigentlich schon seit einem Jahr pensioniert war. Die Polizeidienststelle in Sils Maria war damals aufgelöst und in die Kantonshauptstadt Chur verlegt worden. Aber solange der alte Jäggi sich noch gesund und fit fühlte, trat er – wie die dreißig Jahre zuvor – als Gemeindegendarm auf. Er wähnte sich verantwortlich für alles, was in Sils vor sich ging, sich also nicht mit rechten Dingen abspielte. Nur sein Hörgerät wies einen kleinen Verschleiß nach all den Dienstjahren auf.
    »Wieder eine mehr«, sagte

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