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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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körperbetonten Angriff. Und niemand war in Sicht, der Plotek helfen konnte. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Die Mundwinkel verzogen sich Richtung Boden. Das eigentlich hübsche Gesicht wurde hässlich. Plotek hatte nicht viele Möglichkeiten, den Kopf aus der sich zusammenziehenden Schlinge zu ziehen. Flucht schien aussichtslos. Blieb nur der Angriff als Verteidigung. Vinzi schien Ähnliches zu denken und krallte seine Finger wieder in die Seitenlehnen des Rollstuhls, als wollte er sagen: »Na, mach schon!«
    Und Plotek machte. Noch ehe Marlies auf ihn zurollen konnte, rollte er auf sie zu.
    Plotek fuhr Marlies mit dem Rollstuhl einfach über den Haufen. Ein neutraler Beobachter hätte es zumindest so deuten können. Genau genommen fuhr er los, und Marlies sprang, um nicht überfahren zu werden, zur Seite und landete in einem Schneehaufen. Auf dem Hinterteil. Sie war so perplex, dass sie nichts mehr sagen konnte. Nur schauen. Lange saß sie im Schnee und blickte den beiden hinterher. Die sahen sich nicht einmal nach ihr um.
    »Das glaubt ihr nicht!«, sagte nicht viel später Agnes im Wang Tong 23 , als sie wieder alle von ihren Ermittlungen aus dem Silser Gestrüpp zurück waren und zusammen um den Tisch herumsaßen. Gemeint war ihre Begegnung mit dem Dorfpolizisten Linard Jäggi.
    »Das muss ich euch erzählen.« Schon legte sie los. »Ich habe Jäggi an der Bar Cetto abgepasst, die kennt ihr ja, oder?«
    Nicken der anderen. Es handelte sich um eine winzige Bar, die in einem kleinen Häuschen an der Ortsausfahrt von Sils in Sichtweite des Hotel Zentral untergebracht war und an der Jäggi mehrmals am Tag Halt machte, zumindest war sein Motorroller ständig davor zu sehen.
    »Als Jäggi aus der Bar kam, habe ich ihn, ganz nebenbei und wie aus Zufall, in ein Gespräch verwickelt. Ich sagte ›Herr Inspektor‹ und konnte sofort die Wirkung dieser beiden wohlkalkulierten Worte erkennen. Jäggi blieb stehen, sah mich mit großen Augen an, als wäre ich der junge, fesche Polizeipräsident und hätte ihn zum gemeinsamen Abendessen eingeladen. Mit Option auf mehr.«
    Ploteks und Vinzis Augen weiteten sich ebenfalls, was Agnes in ihrem Redefluss noch mehr anzutreiben schien.
    »Jäggi strahlte«, fuhr sie fort. »Augen wie Diamanten. Das tat gut. Das ging bei ihm runter wie Öl. Kein Wunder: Nach den ganzen Schmähungen und Demütigungen dieser forschen Hauptkommissarin und ihrer Churer Kollegen waren meine Worte eine Wohltat. Endlich jemand, der ihn als das erkannte, was er ist: Linard Jäggi, der Mann, der sein halbes Leben lang für Gesetz und Ordnung eingestanden ist – der Inspektor eben! Versteht ihr?«
    Und ob Plotek und Vinzi verstanden.
    »Ich habe natürlich sofort nachgelegt«, ergänzte Agnes, »ihn zugeschleimt und gesagt: ›In diesem hysterischen Ermittlungsgetümmel findet man ja keinen vernünftigen Menschen mehr, der gewillt ist, einem Auskunft zu geben. Da dachte ich, dass ich vielleicht Sie und Ihre kostbare Zeit für einen Augenblick beanspruchen dürfte.‹ Das zeigte Wirkung. Ich vermute mal, dass Jäggis Ohren surrten. Dass sein Hörgerät jubilierte. Und um jeglichen Zweifel zu zerstreuen, sagte ich, dass meine Tochter seit einer Woche abgängig sei. Dass sie vielleicht nach Sils gekommen sei, um sich … Ich vergoss ein paar falsche Tränen, die beim alten Jäggi ganz gut ankamen.«
    Darin hat sie Übung, auch Erfahrung, dachte Plotek, während er Agnes zuhörte. Der ganze Journalismus baut darauf auf. Geheucheltes Interesse. Emotionen ohne Wahrhaftigkeit. Im Grunde wie die Schauspielerei. Du weinst auf der Bühne und denkst dabei an den Schweinsbraten, der in der Kantine auf dich wartet. Mechanisch, künstlich, einstudiert. Dabei sieht es bei Agnes so gut aus, dass es echter wirkt als echt. Außerdem hatte sie schon immer einen Hang zur Dramatik.
    »Der alte Jäggi fasste mich an der Schulter, als wollte er mich trösten. Und sagte: ›Die taucht sicher auf.‹ Als Dank für seine Worte lud ich ihn auf einen Kaffee ein. Als er nicht darauf ansprang, zog ich mit einem Schnäpschen, einem Apéro, nach. Das wollte, oder besser: konnte er nicht ausschlagen. Wir kippten zwei Fläschchen Apfelkorn hinunter, während ich versuchte, das Gespräch auf die ungeklärten Morde zu lenken. Ich äußerte die Vermutung, dass die Kriminalpolizei im Fall der toten Elvis-Imitatoren völlig überfordert sei, und fügte hinzu, dass ich es nicht begreifen könne, warum man nicht auf so einen erfahrenen

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