Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Überlegung gar nicht so eindeutig wie anfänglich angenommen. Mal davon abgesehen, dass es Tausende von Spieluhren mit der Melodie Schuberts gab, könnte auch Selina Wehrli hinter den Verbrechen stecken. Sie hatte ebenfalls Zugang zu den Spieluhren. Oder die Schwiegermutter, Ilona Wehrli. Womöglich zusammen mit Beat Zuberbühler. Und welche Rolle spielte eigentlich Agatha? Und Britta? Linard Jäggi? Frau Pan?
Apropos Spieluhren: Davon scheint es wohl mehrere Exemplare im Hause Wehrli zu geben. Zumindest wurde schon bei dem toten Elvis im Wald eine gefunden. Warum horten die Spieluhren?
Je länger er schwamm, umso unklarer wurde die Geschichte. Irgendwie schienen alle ihre Finger im undurchschaubaren mörderischen Spiel und die Hand am Bändel der Spieluhr zu haben. Es war viel komplizierter als gedacht. Für Plotek.
Für Vinzi und Agnes nicht. Das hatten sie noch in der Hochzeitsnacht im stark alkoholisierten Zustand mehrmals verlauten lassen. Beide waren felsenfest davon überzeugt, dass Matteo Wehrli hinter den Morden steckte. Warum auch immer. Und dass dieser, bevor er noch weitere Elvisse zur Strecke bringen konnte, selbst zur Strecke gebracht werden musste. Nur auf die Frage »Wie?« hatten auch sie keine Antwort. Schulterzucken und Kopfschütteln unisono. Obgleich sie wild entschlossen waren, das Heft endgültig in die Hand zu nehmen, da sie der Hauptkommissarin, »dieser unbegabten kriminalistischen Provinzschnepfe«, wie Agnes sie nannte, nicht zutrauten, den Wehrli zu überführen. Dass er nämlich nur überführt werden konnte, wenn er auf frischer Tat ertappt wurde, stand für Agnes und Vinzi außer Zweifel. Wobei sich Plotek gar nicht vorstellen konnte, wie man Dr. Wehrli auf frischer Tat ertappen könnte. Das sollte ihm dann aber Vinzi schon noch zeigen.
»Na, wieder fit?«
Plotek erschrak, schluckte dabei Wasser und musste fürchterlich husten. Es war Marlies, die nun das Schwimmbad betrat. In einem Bikini, der zwar die primären Geschlechtsmerkmale nur unzureichend verdeckte, ansonsten aber die ganze Pracht ihres Körpers offenbarte. In diesem Moment wusste Plotek, mit hochrotem Kopf wegen der Hustenattacke, dass er der Frau unrecht getan hatte. Das war nicht der Körper einer Vierzigjährigen mit ein paar Pfunden Übergewicht. Das war der Inbegriff einer wunderschönen barocken Frauengestalt, die im schimmernden Licht, das vom Wasser bläulich reflektiert wurde und das Schwimmbad wie die Grotta Azzurra von Capri aussehen ließ, verführerisch anmutete.
So könnte Brooke Shields, das Mädchen aus Die blaue Lagune , der Jugendschwarm aller Jungs in den 80ern, auch des kleinen Plotek, heute, dreißig Jahre später, aussehen, dachte er und konnte sich an der langsam ins Wasser hineingleitenden Marlies nicht sattsehen. Was zur Folge hatte, dass sich eine mittelprächtige Versteifung gemütlich in seiner Schiesser-Unterhose einquartierte. Jetzt könnte man sich vielleicht fragen, warum Plotek mit einer Unterhose das klinikeigene Schwimmbad besuchte. Ganz einfach: Er besaß keine Badehose. Seit Jahrzehnten schon nicht mehr.
»Hmm«, machte Plotek, woraufhin ihm Marlies ein wenig überheblich zunickte, als wollte sie sagen: »Selber schuld!«
Noch ehe Marlies ganz im Wasser untergetaucht war, tauchte noch jemand anderes im Schwimmbad auf: Klemens! Und Überraschung: Völlig nackt sah er gar nicht mehr aus wie Elvis Presley. Er lächelte frech, hob die Hand zum Gruß, während sein Gemächt zwischen den Beinen lustig wie Glocken schlenkerte, und tat so, als ob auch er jetzt auf Kur wäre. Was das für eine Kur war, konnte Plotek erahnen. Augenblicklich war seine mittelprächtige Versteifung dahin. Was ihm nicht ganz unrecht war. Als Klemens mit einem Kopfsprung ins Wasser platschte und Marlies wie eine Pubertierende kreischte, verließ Plotek das Becken.
Die Anwendungen, Shiatsu, Qigong, Akupunktur und dergleichen, fielen heute, auf ausdrücklichen Wunsch aller Beteiligten, aus. Die meisten, die sich am Tag zuvor auf der Hochzeit im Waldhaus befunden hatten, lagen mit einem Kater im Bett und waren um diese Zeit noch nicht ansprechbar. Plotek sah deshalb zuerst bei den hurtig vorangehenden Aufbauarbeiten des Zeltes an der Silser Schule zu. Dann trank er in der Bar Cetto ein Glas Wasser und ließ sich von der Kellnerin, die einen überdurchschnittlich ausgeprägten Mitteilungsdrang besaß, über den neuesten Stand der Ermittlungen informieren. Im Hintergrund lief leise Musik, die Plotek an irgendetwas
Weitere Kostenlose Bücher