Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
umlegst.«
Sie hob die nassen Haare an und gab den Hals frei.
Morgan Blackwood trat einen Schritt vor. Seine Finger verhedderten sich, als er den Verschluss öffnen wollte, mit denselben Bewegungen, die er bei seiner neugeborenen Tochter ausgeführt hatte.
Winter spürte seine Nähe, den leichten Druck in ihrem Nacken und das kalte Metall, das über ihre Haut glitt. Und plötzlich stiegen Erinnerungen in ihr auf. Sie erkannte den unbeschreiblichen, den elektrischen Geruch der Luft unmittelbar vor einem Gewitter, den Duft ihres Vaters.
Endlich verstand sie.
Sie ließ die Haare wieder fallen, schob mit einer Hand die Kristallkugel nach vorn, bis sie direkt an der Kehle lag, drehte sich um und sah ihren Vater an.
»Hör auf«, sagte sie flüsternd.
Sie nahm die Kette wieder ab und nach einem letzten Blick darauf steckte sie sie in die Tasche.
»Ich brauche den Anhänger nicht mehr … Du bist zurückgekommen. Es ist nicht mehr nötig, dass du mich aus der Ferne beschützt. Nun kannst du mich lehren, die MACHT zu kontrollieren.«
Jetzt umfingen sie die Arme ihres Vaters, und für einen Augenblick verkrampfte sie sich, doch dann ergab sie sich der Umarmung.
Er war der Junge, der voller Vertrauen in den Orden eingetreten war, der Mann, der Elaine Mitchell so sehr geliebt hatte, dass er die ganze Welt herausgefordert hatte, und der eine Tochter gezeugt hatte. Der sein Leben gegeben hatte, um beide so gut wie möglich zu beschützen.
Seine Nähe ließ Gefühle aufsteigen, die allzu lange verschüttet gewesen waren.
Winter kannte die starke und schützende Umarmung, das Gefühl, zerbrechlich sein zu können und trotzdem nichts fürchten zu müssen. Es war in der Tiefe ihrer Seele eingraviert, auf ihrer Haut, die es nie vergessen hatte.
Unbändige Schluchzer brachen aus ihr hervor, und sie musste alle ihre Tränen loswerden. Tränen der Einsamkeit, der Freude, der Sehnsucht.
Ganz lautlos weinte Morgan mit ihr, erlaubte sich endlich, von Elaine Abschied zu nehmen.
Gib mein Herz frei, mein Liebling.
Es gehört jetzt unserer Tochter .
Für einen Augenblick meinte er fast, sie neben sich zu sehen. Noch nie war ihr Lächeln schöner gewesen.
M issgelaunt öffnete Susan Bray die Eingangstür ihres Büros. Es war neun Uhr abends, sie war nach einem langen Arbeitstag schweißgebadet in ihrem Baumwollkostüm und träumte schon seit Stunden davon, endlich ein Schlafmittel zu nehmen und in einen verdienten Schlaf fallen zu dürfen.
Die Gereiztheit wich einem Staunen, als sie Gareth Chiplin vor sich sah.
»Du hier?«, fragte sie und bedeutete ihm einzutreten.
»Guten Abend, Ms Bray.«
Sie führte den Jungen zu ihrem Schreibtisch und setzte sich neben ihn, statt ihm gegenüber Platz zu nehmen, denn sie war sich sicher, dass es kein berufliches Gespräch werden würde.
»Nun, was wolltest du mir sagen …?«, begann sie und nahm dabei den pragmatischen und freundlichen Tonfall an, mit dem sie sich beim Amt an ihre Sozialhilfeempfänger wandte.
Gareth brauchte keine weiteren Ermutigungen. »Ich muss mit Winter sprechen.«
Natürlich , kommentierte Susan innerlich. Aus welchem anderen Grund sollte er sonst zu ihr kommen?
»Und wie kommst du darauf, dass ich dir helfen kann?«
»Sagen wir, ich hoffe es einfach. Wissen Sie, heute ist ihr Geburtstag, und Madison und ich wollten ihr gratulieren. Wir dachten, es würde ihr Freude machen, ein Lebenszeichen von ihren Freunden zu bekommen …«
Die Frau lächelte leicht amüsiert. Es war schon eine Weile her, seit sie selbst jung gewesen war, doch sie fand das Argument nicht allzu überzeugend.
»Tut mir leid, Gareth, aber ich weiß selber nicht, wie man Winter erreichen kann«, sagte sie und gab ihrer Stimme einen warmen Unterton. »Sie ist nicht mehr in meiner Obhut und der Rat hielt es nicht für angebracht, mir mitzuteilen, wo sie sich aufhält und wie man mit ihr in Kontakt treten kann.«
Der Junge musterte schweigend ihren Ausdruck, und sein Gesicht verdüsterte sich, als er erkannte, dass sie die Wahrheit sagte.
Und wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich mit Winter über ihre MACHT sprechen will, Ms Bray? Dass ich herausfinden möchte, ob sie bei der Tower Bridge irgendwie eingegriffen hat?
Wenige Sekunden lang überlegte Gareth, ob er ihr mehr erzählen konnte, ohne zu viel preiszugeben.
Wie weit können wir Ihnen vertrauen, Ms Bray?
Im Grunde ging es einzig und allein darum. Für den Moment konnten sie auf niemand anderen zählen.
»Sagen Sie ihr wenigstens,
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