Silver Linings (German Edition)
Gefühl, gleich zu explodieren. Ich spüre eindeutig, dass sich ein Schub anbahnt, deshalb mache ich, bevor ich die Beherrschung verliere, das Einzige, was mir einfällt: Ich renne den Strand runter, weg von Veronica und Ronnie und Emily und dem Weinen und den Vorwürfen. Ich renne, so schnell ich kann, und plötzlich merke ich, dass ich jetzt weine, wahrscheinlich, weil ich doch nur mit Emily schwimmen war und sich das so gut angefühlt hat und ich doch nur alles richtig machen wollte und auch gedacht habe, ich würde alles richtig machen, und weil ich meinen besten Freund enttäuscht habe und Veronica mich angeschrien hat, und das ist nicht fair, weil ich mir so viel Mühe gebe, und wie lange dauert dieser Scheißfilm eigentlich noch, und wie sehr muss ich mich denn noch verbessern, und …
Tiffany überholt mich.
Sie fegt regelrecht an mir vorbei.
Plötzlich ist nur eines wichtig: Ich muss sie überholen.
Ich werde schneller und hole auf, aber sie legt einen Zahn zu, und wir rennen eine Zeitlang Seite an Seite, bis ich den Gang einlege, den Frauen nicht haben, und ich jage an ihr vorbei und behalte meine Männergeschwindigkeit rund eine Minute bei, ehe ich wieder langsamer werde und sie aufholen lasse. Wir traben eine Weile schweigend nebeneinander den Strand entlang.
Eine gefühlte Stunde vergeht, ehe wir umkehren, und eine weitere gefühlte Stunde vergeht, ehe wir Ronnies und Veronicas Sonnenschirm sehen, doch ehe wir sie erreichen, schwenkt Tiffany ab und läuft ins Meer.
Ich folge ihr, laufe direkt in die Wellen, und nach dem langen Lauf fühlt sich das Salzwasser schön kühl auf der Haut an. Schnell sind wir zu weit draußen, um noch stehen zu können, und Tiffanys Kopf treibt auf den Wellen, die wieder deutlich ruhiger geworden sind. Ihr Gesicht ist leicht gebräunt, und ihr Haar hängt dunkel und nass und natürlich herab, und ich sehe Sommersprossen auf ihrer Nase, die heute Morgen noch nicht da waren – also schwimme ich zu ihr rüber.
Eine Welle hebt mich hoch, und als ich auf der anderen Seite hinuntergleite, bin ich überrascht, weil unsere Gesichter sich plötzlich ganz nah sind. Einen kurzen Moment lang erinnert Tiffany mich so sehr an Nikki, dass ich Angst bekomme, wir könnten uns versehentlich küssen, doch ehe das geschieht, schwimmt Tiffany ein Stück von mir weg, und ich bin dankbar.
Ihre Zehen tauchen aus dem Wasser, und sie lässt sich treiben, das Gesicht zum Horizont gerichtet.
Ich lehne mich zurück, starre auf den Strich, wo Himmel auf Wasser trifft, lasse meine Zehen auftauchen und treibe neben Tiffany, ohne dass einer von uns etwas sagt.
Als wir zurück zur Decke gehen, schläft Emily, eine Faust am Mund, und Veronica und Ronnie liegen händchenhaltend im Schatten. Wir bleiben vor ihnen stehen, sie blinzeln und lächeln, als wäre nie etwas Schlimmes vorgefallen.
«Seid ihr gut zusammen gelaufen?», fragt Ronnie.
«Wir wollen jetzt nach Hause», sagt Tiffany.
«Warum?», sagt Ronnie und setzt sich auf. «Wir haben doch noch nicht mal unseren Lunch gegessen. Pat, willst du wirklich schon nach Hause?»
Veronica sagt nichts.
Ich blicke zum Himmel hoch. Keine einzige Wolke. Nichts als Blau. «Ja, will ich», sage ich zu ihm, und dann sitzen wir wieder im Minivan und fahren zurück nach Collingswood.
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Ein Bienenstock voll grüner Bienen
«Ahhhhhhhhh!»
Ich fahre mit hämmerndem Herzen hoch. Als meine Augen klar sehen, erkenne ich Dad neben meinem Bett, die Hände über dem Kopf. Er trägt sein McNabb-Shirt mit der Nummer 5.
«Ahhhhhhhhhhhhh!», schreit er weiter, bis ich aus dem Bett steige, die Arme hebe und mitbrülle.
Wir singen den Schlachtruf, bilden die Buchstaben mit Armen und Beinen. Als wir fertig sind, sagt mein Vater nicht etwa guten Morgen oder sonst irgendwas, sondern trabt einfach aus meinem Zimmer.
Ich schaue auf die Uhr: 5.59. Das Spiel fängt um eins an. Ich habe versprochen, um zehn zu Jakes Parkplatz-Party zu kommen, womit mir zwei Stunden fürs Krafttraining und eine Stunde fürs Laufen bleiben – also stemme ich Gewichte, und Tiffany ist um acht Uhr vor dem Haus, genau, wie sie gesagt hat.
Wir laufen nicht lange – höchstens sechs oder sieben Meilen.
Nach dem Duschen ziehe ich mein Baskett-Trikot an und bitte meine Mutter, mich zum Bahnhof zu fahren, aber sie sagt: «Dein Fahrer wartet draußen auf dich.» Mom küsst mich auf die Wange und gibt mir etwas Geld. «Viel Spaß, und pass auf, dass dein Bruder nicht zu viel
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