Silver Moon
Mond war mein Zeuge – er schien sanft auf mein Gesicht, als ich in einen tiefen Schlaf fiel.
Grausamkeiten
Gut erholt wachte ich in den frühen Morgenstunden auf. Ich hatte geträumt, konnte mich aber nicht an Einzelheiten erinnern – jedoch musste es sehr schön gewesen sein, denn ich spürte zum ersten Mal seit Monaten, wenn nicht gar Jahren, ein Glücksgefühl. Ja, es war unbeschreiblich, aber ich war glücklich! Zumindest so lange, bis mein Verstand erwachte und mir klar wurde, dass ich gestern Abend nicht nach Hause gegangen war.
Hektisch sah ich mich um; die dicke Kerze brannte noch, aber das Tageslicht fiel schon durch das kleine Fenster der Hütte. Ich pustete die Kerze aus, griff nach dem Traumfänger und dem Zettel – die Flöte trug ich noch um den Hals –, dann konnte mich nichts mehr halten und ich rannte hinaus, sprintete unaufhaltsam durch den Wald, bis ich vor unserem Haus ankam. Dort musste ich erst verschnaufen, presste meine Hände auf die Oberschenkel, beugte mich vornüber und holte mehrmals tief Luft, was aber nicht viel half. Vollkommen abgehetzt betrat ich unser Haus. Alles war mucksmäuschenstill. Erst jetzt blickte ich auf die Uhr und sah, dass es erst kurz nach fünf in der Früh war – also nicht ganz so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Ich versuchte ganz leise zu sein, um niemanden zu wecken. Ich schlich in die Küche und begann sogleich damit, einen frischen Brotteig anzurühren.
Unser Brot und die Brötchen backte ich generell selbst; mit meinem knappen Budget musste ich mir einiges einfallen lassen, damit wir über die Runden kamen, und mein selbst gebackenes Brot mochte nicht nur ich, auch meine Geschwister waren ganz wild darauf. Sie lobten mich oft und meinten, dass es kein Bäcker besser machen könnte.
Die Brötchen waren schon im Ofen, als ich den massigen Brotteig viermal teilte. Ein Brot formte ich ganz gewöhnlich. In die anderen drei Teigberge mischte ich jeweils einmal Käsestücken, geröstete Zwiebeln und Schinkenwürfel. Somit hatten wir viererlei Sorten Brot. Nachdem die Brötchen fertig waren und ich den Brotteig in den Backofen geschoben hatte, ging ich ins Badezimmer, um mir ein ausgiebiges Duschbad zu gönnen. Das warme Wasser war eine Wohltat. Ich wusch auch mein ellenlanges Haar und hoffte, dass vom Geräusch des Föns niemand wach werden würde. Leider bemerkte mich Mia. Sie kam zu mir ins Badezimmer.
»Guten Morgen, Kira! Bin ich froh, dass du wieder da bist – wo hast du gestern Abend gesteckt? Musstest wohl im Krankenhaus länger machen, weil du zu spät gekommen bist?«, fragte sie mich und drückte ihren braunen Teddy, der nur noch ein Auge hatte, fest an sich. Am liebsten hätte ich geflunkert und ihrer Ausführung zugestimmt, aber ich wollte nicht lügen.
»Nein, Mia. Ich durfte sogar eher gehen, aber ich bin nicht nach Hause gekommen, sondern in den Wald zu der Hütte gegangen. Ich wollte ein bisschen alleine sein.«
»Du vermisst wohl deinen Prinz, hmm?«, fragte sie und lag damit goldrichtig. Ich nickte und Mia kicherte. »Ich habe ihn gestern gesehen! Ein alter Mann kam mit ihm. Die hätten mich fast am Waldrand bemerkt. Ich habe mich noch in letzter Sekunde hinter einem Baum verkrochen, aber Prinz hat mich trotzdem entdeckt. Irgendwie hat er gelächelt, als er mich sah. Kira, können Hunde lächeln?«
»Prinz bestimmt!«, sagte ich und griff nach der kleinen Flöte, die auf dem Waschbecken lag, da ich sie vor dem Duschbad abgenommen hatte. Ich hängte sie wieder um meinen Hals und fühlte mich augenblicklich wohl. Sie glich einer Art schützendem Talisman. Wer auch immer den Zettel geschrieben und mir die Flöte geschenkt hatte – ich war ihm dankbar dafür. »Wo hast du die Kette her? Die kleine Flöte ist hübsch! Spielt die auch?«, wollte Mia wissen und brachte mich damit zum Grübeln. Auf dem Zettel stand, dass ich sie benutzen sollte, wenn ich in Not wäre. Daher wagte ich es nicht, sie zu testen.
»Sie ist nur eine Attrappe. Ich habe sie gefunden«, erwähnte ich beiläufig und zog mir frische Kleidung an. Dann ging ich gemeinsam mit Mia in die Küche. »Hier riecht es aber lecker. Ich decke gleich den Frühstückstisch. Mmh, Käsebrot und frische Brötchen«, freute sich Mia und begann den Tisch zu dekorieren. Für ihre sechs Jahre machte sie das ausgezeichnet. Sie nahm eine neue Tischdecke, unser gutes Geschirr, sogar Servietten faltete sie und stellte noch eine Kerze dazu. Sie deckte für vier Personen, einer war ganz
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