Silver Moon
vorbeizukommen, du wohnst doch gleich um die Ecke!«
»Ja, vielleicht«, antwortete ich resigniert und glaubte nicht daran, eine Gelegenheit zu finden, um bei den Moores mitfeiern zu können. Sakima, der die ganze Zeit neben mir stand, schleckte liebevoll über meinen Handrücken. Im Gegensatz zu den Menschen spürte er meine Empfindungen, Sorgen und Ängste. Er wusste, dass ich alles gegeben hätte, um beim Dakota-Camp-Fest mit ihm und Mia zusammen sein zu können. Selbst jetzt wäre ich liebend gerne bei ihm und seiner Familie geblieben, doch stattdessen wartete zu Hause ein betrunkener Vater auf mich, der schon wieder meine Brüder tyrannisierte, als ich mit Mia an diesem Freitagnachmittag nach Hause kam. Ich hatte noch eingekauft, um einen Grund als Entschuldigung für mein Zuspätkommen zu haben, aber selbst das war Vater egal. Nino lag auf den Knien und schrubbte den Boden im langen Flur, und Kai musste zwei Hühner rupfen, die Vater wohl wieder im Suff geschlachtet hatte. Immer wenn er besonders wütend war, ließ er das auch an den Tieren aus. Zum Glück hatten wir nur Hühner und Hasen, aber die bekamen es oft ab und mussten ihr Leben lassen. Vater wusste, dass Kai es verabscheute, wenn er Tiere schlachtete. Und jedes Mal befahl er ausgerechnet ihm, die Hühner zu rupfen und auszunehmen. Angewidert von seiner Aufgabe, ging Kai mit Wut im Bauch seiner Pflicht nach. Die angefeuchteten Federn lagen überall in der Küche verstreut. In Kais Augen spiegelte sich ein Hass, der mir allmählich Angst machte.
»Kai, lass sein! Ich mach das gleich«, sagte ich, obwohl das Hühnerrupfen auch nicht unbedingt meine Lieblingsaufgabe war. Aber Kais Hingabe zu den Tieren war so stark, dass ich ihm diese Tortur nicht länger zumuten wollte.
»Du hast wohl nichts zu tun, du kleines Flittchen? Das lässt sich ändern! Die Hasen müssen ausgemistet werden, ich will was Gescheites zum Abendbrot, mein Bett muss frisch überzogen werden und in der Stube habe ich die Couch vollgekotzt. Der Wein hat wohl zu lange gestanden, jedenfalls machst du das sofort weg! Ich will in einer Stunde wieder zu Magnus, wir pokern heute, und bis dahin will ich gegessen haben, und zwar in einer sauberen Stube, und jetzt setz deinen Arsch in Bewegung!« Ich schluckte schwer und wollte gerade gehen, als Vater plötzlich Mia an ihren Zöpfen zu sich zog.
Mia schrie und stolperte.
»Du kleiner Dummkopf liest sofort jede Feder auf, die in der Küche liegt! Finde ich nachher noch eine Feder, verbringst DU diesmal die ganze Nacht im Hühnerstall. IST DAS KLAR?«, schrie er und Mia nickte weinend, dann lief sie in die Küche und begann umgehend mit ihrer Aufgabe. Nino schüttelte unterdessen nur den Kopf und putzte den Boden schweigend weiter. Ich sah Kai an, der verbittert auf dem Stuhl saß und voller Hass die weißen Federn aus der Haut der Hühner riss. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste tun, was Vater verlangte. Traurig ging ich ins Wohnzimmer, um Vaters Überreste vom Mittagessen zu beseitigen. Fast hätte ich danebengebrochen, so gewaltig stank es. Mir wurde übel bei der Arbeit und immer wieder musste ich gegen meinen Würgereflex ankämpfen. Die Couch war ruiniert, ich versuchte mein Möglichstes, um den Gestank und die Flecken zu entfernen, und ging anschließend ins Badezimmer, um mich mit einer Duschcreme abzuwaschen. Der Duft von Jasmin- und Orchideen-Extrakten auf meiner Haut vertrieb nach einer Weile meine Übelkeit und ich kehrte erfrischt in die Küche zurück, um Vater etwas Gescheites, was auch immer er damit meinte, zum Essen zu machen. Kai war inzwischen fertig und auch Mia hatte es geschafft, jede noch so kleine Feder aufzulesen. »Was willst du zum Abendbrot machen?«, fragte sie mich leise. Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber auf alle Fälle zuerst etwas für Vater, damit er endlich verschwindet. Später backen wir uns eine leckere Pizza. Was hältst du davon?«
»Oh ja, das wäre super! Und Vater … was soll er essen?«, erkundigte sich Mia wiederholt. »Arsenbrot mit Buchsbaumaufstrich und dazu einen Eisenhutsalat!«, sagte Kai laut und deutlich. Erschrocken blickte ich um die Ecke, hoffentlich hatte Vater das nicht gehört. Sicherlich wussten nicht nur Kai und ich, dass jeder einzelne Bestandteil eine tödliche Wirkung hat.
»Kai! Hör auf, so einen Unsinn zu erzählen, vor allem wenn Mia dabei ist!« Mia schaute uns verdutzt an. »Was ist Arsenbrot?«
Kai grinste und antwortete ihr. »Ein Gebäck,
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