Silver Moon
es mir in den Sinn ‒ so hieß das Pony, und das bedeutete glückliche Zukunft. Ich war noch nie so nah an einer glücklichen Zukunft gewesen wie in jenen Tagen. Nach meiner Arbeit in der Klinik führte mein erster Weg stets zu der roten Hütte der Moores. Eine Stunde verbrachte ich täglich mit Sakima und auch Mia war regelmäßig bei ihrem Pony. Vater hatte ich erzählt, sie hätte einen neuen Stundenplan und länger Unterricht. Da er sich in keiner Weise um die schulischen Belange meiner Geschwister kümmerte, nahm er es hin, und Mia konnte jeden Tag reiten gehen, was ein strahlendes Kind aus ihr machte. Auch ich hatte mein Lächeln zurückgewonnen. Das Leben hätte nicht schöner sein können.
Nur gut, dass ich nicht ahnte, dass sich am kommenden Wochenende alles schlagartig ändern würde und meiner Glückssträhne ein baldiges Ende bevorstand.
Gefährliche Nacht
Die Moores hatten ein Dakota-Camp-Fest geplant. Mia war deshalb schon die ganze Woche aus dem Häuschen und sie klärte mich voller Euphorie auf, dass ›Dakota‹ Freund heißen würde. Es sollte also ein Camp-Fest sein, bei dem Freundschaften geschlossen und gepflegt werden. Die Moores hatten sich dafür allerhand einfallen lassen und auf einer Weide, nahe ihrem Haus, zehn große Tipis aufgestellt, in denen je bis zu sechs Personen übernachten konnten. Die indianischen Zelte fügten sich in das Landschaftsbild von Elmenthal wie ein buntes Gemälde auf einer imposanten Leinwand. Es glich einem Märchen, als ich Freitag nach der Arbeit wieder zu Sakima ging und die kegelförmigen Tipis stehen sah. Ich blickte verträumt diese faszinierende Umgebung an. Mia kam mir plötzlich entgegengelaufen, sie rannte lachend über die Wiese und rief von Weitem: »Schau, wie ich aussehe!«
Es war unverkennbar: Sie hatte sich in ein kleines Indianermädchen verwandelt. »Das hat Anouk gemacht!«, erzählte sie stolz und drehte sich einmal im Kreis. Mias dunkle Haare waren zu Zöpfen geflochten, sie trug ein rotes Stirnband, an dem hinten eine gelbe Feder emporragte. Sie hatte ein braunes, ledernes Kleid an, dessen Ärmel und der Saum mit Fransen übersät waren. Ein türkisfarbener Gürtel peppte das Outfit zusätzlich auf. Mia trug sogar passende Mokassins. »Schau nur, Kira, schau, die Schuhe«, sagte sie und streckte mir ihren linken Fuß entgegen. »Die Schuhe hat Tunkasila selbst gemacht. Und das Kleid«, sie drehte sich wie eine Ballerina, »das Kleid hat Kaya für mich genäht!«, erzählte sie voller Begeisterung. Ich freute mich mit Mia und nahm sie fest in meine Arme.
Anouk kam lächelnd zu uns und ich nutzte die Gelegenheit, um mich bei ihr für alles, was sie und ihre Familie Mia ermöglichten, zu bedanken. »Es ist nicht selbstverständlich, ein fremdes Kind aufzunehmen, als wäre es ein Familienmitglied, für sie hübsche Sachen zu nähen und ihr gar ein Pony zu schenken. Ich kann das nie wiedergutmachen«, sagte ich kleinlaut.
»Das machen wir doch liebend gern! Ich wollte schon immer eine kleine Schwester haben und Mia ist perfekt. Sie ist ein gutes Mädchen, wir haben sie alle ins Herz geschlossen.« Ja, das war sie: ein gutes Mädchen, das ein viel besseres Zuhause verdient hätte als das, was ich ihr bieten konnte. Mia riss mich aus meinen Gedanken.
»Kira, ich darf doch morgen zum Fest gehen, oder? Du schaffst es bestimmt, Vater zu überzeugen, ja? Tust du das? Bitte!«, flehte sie und hielt dabei meine Hand. Natürlich musste ich es irgendwie schaffen, Vaters Regeln zu umgehen, damit sie an dem Dakota-Camp-Fest teilnehmen konnte. Aber ich hatte noch keine Ahnung, welche Ausrede ich mir diesmal einfallen lassen sollte.
»Wird schon, Mia, keine Sorge! Auf jeden Fall kannst du gehen!«
»Willst du morgen nicht auch zu uns kommen? Schließlich ist es ein Dakota-Fest – von Freunden für Freunde!«, fragte mich Anouk und ich musste gequält lächeln, denn von Wollen war hier nicht die Rede. »Ich würde liebend gerne dabei sein, aber ich bin schon froh, wenn ich Mia irgendwie dazu verhelfen kann, diesen Tag mit euch zu verbringen.« Anouk schien meine Probleme nicht nachvollziehen zu können. »Du musst ja nicht lange bleiben, das Fest am Nachmittag. Wir starten mit Kaffee und Kuchen, danach gibt’s Reitturniere, Geschicklichkeitsspiele und einiges mehr. Am Abend machen wir ein Lagerfeuer mit Spanferkel. Selbst danach kann jeder bleiben, der will, und in den Tipis übernachten. Vielleicht findest du ja ein oder zwei Stunden, um
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