Silvy macht ihr Glück
besser angeben: Der Chauffeur ist weiblichen Geschlechts. Doch, dafür werde ich sorgen.“
„Es ist schrecklich, daß Sie dadurch so zeitig herausgejagt wurden, es gibt noch keine Bedienung. Aber warten Sie mal, Sie sind sicher hungrig. Ich werde versuchen…“
Der Nachtportier organisierte eine Tasse Kaffee, die Sylvi auf einem Tablett gebracht wurde. Dann kamen die Morgenzeitungen, und bald darauf begann auch der normale Hotelbetrieb. Es belustigte Sylvi, in der Halle zu sitzen und zu beobachten, wie das Hotel sozusagen zum Leben erwachte.
Der Nachtportier wurde vom Tagesportier abgelöst und hatte eine längere Unterhaltung mit ihm. Er sah Sylvi an und lachte. Dann klingelte es von verschiedenen Zimmern. Das Frühstück wurde bestellt.
„Fräulein Eriksen“, sagte der Portier flüsternd, „Frau Allen will mit Nummer achtundfünfzig verbunden werden. Ich schalte um in die Zelle da drüben.“
Frau Allen erschrak, als sie von Sylvis nächtlichen Erlebnissen hörte. Sie versprach, augenblicklich die anderen Hotels verständigen zu lassen, in denen – leichtsinnig genug – auch nur ein Zimmer für ihren Chauffeur bestellt war.
Um zehn Uhr wollten sie zur Weiterreise starten.
Sylvi sorgte dafür, daß das Gepäck in den Wagen gebracht wurde. Sie stand in der Halle, als ein großer Mann in Chauffeurskleidung die Treppe herunterkam. Er wechselte einige Worte mit dem Portier.
„Wo ist denn eigentlich mein Kollege?“ fragte der dänische Chauffeur. „Es lag jemand in dem anderen Bett, als ich in der Nacht kam, aber heute morgen war der Vogel entflogen.“
„Der Vogel steht dort“, sagte der Portier, der offenbar um den guten Ruf des Hotels nicht so besorgt war wie sein Kollege, der Nachtportier, und deutete auf Sylvi.
Der Chauffeur starrte mit offenem Mund auf Sylvis lächelndes Gesicht, das schimmernde blonde Haar und die schlanke Gestalt in der silbergrauen Livree. „Du lieber Gott“, stöhnte er dann, „das nenne ich sein Glück verspielen, das die Vorsehung einem in die Hand gelegt hatte.“ Kopfschüttelnd verschwand er im Frühstücksraum, um sich mit einem Imbiß zu stärken.
Und Sylvi startete nach Kopenhagen.
6
Die Straße lag wie ein Strich vor Sylvi, breit und flach. Nur der grasbewachsene Streifen in der Mitte durchbrach die Eintönigkeit, aber auf die Dauer wurde auch er eintönig.
Sie konnte verstehen, was sie gehört und übrigens voriges Jahr selbst erlebt hatte, als sie mit ihrem Vater und Stahrs auf Reisen war: daß man müde wurde, richtiggehend müde, wenn man im 140-km-Tempo stundenlang auf der Autobahn fuhr. Frau Allen hatte es gut. Sie konnte ab und zu ein kleines Nickerchen machen.
Wieder näherten sie sich einer Grenze mit Paßkontrolle und Zoll. Sylvi fühlte, ob der Beutel unter ihrer Bluse auf seinem Platz war. Es war nicht so, daß sie ihren Schmuck vor den Zollbeamten verbergen wollte – das war nicht nötig, denn jeder konnte ja seinen persönlichen Schmuck mitnehmen –, aber Frau Allen sollte ihn nicht sehen. Frau Allen war nach Sylvis Meinung der diskreteste Mensch auf der Welt, aber es würde wohl doch unerwünschte Gedanken verursacht haben, wenn sie gesehen hätte, daß ihr Chauffeur sehr wertvollen Schmuck besaß.
Die Autobahn wurde durch meilenlange Pappelalleen abgelöst, und Sylvi hatte schließlich den Eindruck, daß die Pappeln sich wie nebelhafte Striche vor ihren Augen bewegten.
Nein, dachte sie, dann schon lieber die verwinkelten und steilen norwegischen Fahrwege. Da gibt es doch Abwechslung, da hat man etwas, um seine Kräfte einzusetzen. Hier brauchte man ja nur den kleinen Finger am Steuer zu haben und sich zum Ziel durchzugähnen.
Nun waren sie also in Frankreich, und jetzt näherte sich der Augenblick, da das Hotel Belville in Sicht kommen sollte. Frau Allen hatte sich nach vorn ins Auto gesetzt und blickte abwechselnd auf die Karte und die umgebende Landschaft.
Rechts lag das Meer, links zogen sich üppige Wiesen hin.
Die Straße führte näher und näher an den Strand. Bald tauchte ein Hotel auf und ein meilenlanger weißer Strand mit wimmelndem Leben. Noch ein Strand, und wieder einer. Hotels und kleinere Gasthöfe lagen wie Perlen auf einer Schnur.
Und dann tauchte ein riesengroßes weißes Gebäude auf. Vor jedem Fenster hingen grüne Blumenkästen mit rosa Geranien, die sich leuchtend von dem schimmernden Weiß abhoben.
„Der Prospekt hat anscheinend nicht gelogen, jedenfalls nicht, was das Äußere angeht“, sagte
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