Silvy macht ihr Glück
bißchen bewundert und verehrt. Und Jean Garnier würde nach einer so kurzen Bekanntschaft nie derart ungeniert und geradeheraus zu ihr sprechen.
Jörn betrachtete es also als eine Selbstverständlichkeit, daß sie Zusammensein würden, wenn sie freihatte. Puh, als ob sie nicht noch andere Möglichkeiten hätte, einen freien Abend auf vergnügte Weise zu verbringen!
Während Sylvi die Kammnüßchen mit Pommes frites mit großem Appetit verspeiste, stellte sie erstaunt fest, daß sie jetzt über Jörn anders dachte als noch vor einigen Stunden. Natürlich war er nett, sogar riesig nett. Aber nicht so spannend wie – nun ja, kurz gesagt, nicht besonders spannend.
In Nachdenken versunken nahm sie sich einen Keks mit Brie.
Später stand sie in ihrem Zimmer am offenen Fenster und starrte hinaus in den lauen, weichen Sommerabend. Um sich schon schlafen zu legen, war es allzu zeitig und viel zu schön. Aber was sollte sie anfangen? Vom Tanzsaal klang gedämpfte Musik herauf. Sie seufzte. Sie stellte sich vor, daß sie ihr weißes Chiffonkleid anziehen, hinuntergehen und auch ein Hotelgast sein könnte, statt bloß ein Chauffeur…
Erst jetzt begriff sie im Grunde den gähnenden Abgrund zwischen Herrschaft und Dienerschaft in einem Luxushotel. Der Speisesaal, der Tanzsaal und die Gesellschaftsräume waren verbotenes Gebiet für einen einfachen Chauffeur.
Aber niemand konnte ihr verbieten, ein schönes Kleid anzuziehen. Niemand konnte ihr verbieten, einen Spaziergang zu machen, den Strand entlang oder in der Allee oder, kurz gesagt, wo sie eben wollte.
Also nahm Sylvi das weiße Kleid aus dem Schrank, und sie wurde guter Laune, während sie sich anzog. Sie gab sich Mühe und machte sich so hübsch wie möglich.
Schließlich legte sie den Rubinschmuck von ihrer Mutter um den Hals und befestigte die altmodischen kleinen Rubinsterne in den Ohren.
Dann warf sie sich den dreiviertellangen, weichen weißen Mantel um die Schultern und nahm den Lift nach unten.
Sie mußte über sich selbst lächeln, als sie langsam durch die Allee ging. Warum zog sie sich eigentlich zu ihrem eigenen Vergnügen an, sie, die doch bisher recht wenig Wert darauf gelegt hatte?
Ein junges Paar kam ihr entgegen. Doch die beiden Menschen waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie sie nicht bemerkten. Ein Auto mit leuchtenden Scheinwerfern glitt vorbei. Wenn sie nur das Auto hätte nehmen können, um ein weites Stück damit zu fahren, ganz allein!
Die Lichter des Nachbarhotels tauchten auf. Sylvi ging vorüber. Musik, Lachen und Stimmengewirr klangen durch die offenen Fenster zu ihr heraus. Sylvi ging langsam weiter.
„Mademoiselle, Mademoiselle… sind Sie das? Ist es Mademoiselle Sylvi?“
Eine große Gestalt im Frack stand vor ihr. Sie sah im Halbdunkel die Glut einer Zigarette, die jetzt weggeworfen wurde.
„Oh, Monsieur Garnier, Sie?“
„Mademoiselle, ich kann mein Glück kaum fassen. Sie sind das… und ganz allein? Haben Sie sich in Ihrem Hotel gelangweilt?“
Sylvi lächelte. „Ja, genau das.“
„Mademoiselle Sylvi, wir sind in der gleichen Lage. Wozu haben Sie Lust, Mademoiselle? Wollen Sie ein Glas Wein mit mir trinken? Könnten Sie sich vorstellen, mit mir zu tanzen?“
Sylvi bekam Herzklopfen. „Ja, gern, Herr Garnier.“
Jetzt also war sie nicht bloß ein Chauffeur. Sie war ein schönes junges Mädchen, das einem ebenso schönen Kavalier gegenübersaß. Und dann wurde eine Flasche mit einem goldenen Hals auf den Tisch gestellt, und es kamen traditionelle kelchförmige Gläser.
„Mademoiselle, sind Sie Madame Allen ausgerissen? Beichten Sie nur.“
Sylvi lachte. „Sie haben richtig geraten, Herr Garnier. Madame Allen spielt Bridge.“
„Und das mögen Sie nicht. Ich habe nie die Berechtigung von Bridge so deutlich erkannt wie jetzt. Ein Hoch für das Bridge! Und ein Hoch auf diesen glücklichen Zufall, Mademoiselle.“
Er sah ihr in die Augen, während er trank. Dann tanzten sie. Und Jean Garnier tanzte gut.
Dann erzählte er von sich selbst. Er wohnte in Paris und leitete ein großes Geschäft. Aber er stammte eigentlich aus der Normandie.
„Daher habe ich meine blauen Augen“, sagte er stolz. „Sie wissen, wir aus der Normandie stammen von Ihren grimmigen Vorvätern ab, Mademoiselle. Vielleicht fühle ich mich daher so verwandt mit Ihnen.“
Er hatte ein Haus in Neuilly und wohnte mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder zusammen. „Mein Bruder hat sich meinen Wagen ausgeliehen und meine
Weitere Kostenlose Bücher