Silvy macht ihr Glück
kaum verbeißen. Wenn Frau Allen wüßte, daß man sie zu Sylvis „Chaperone“, ihrer Anstandsdame, ernannt hatte!
Sie kraulte zu einem der Flöße, und Garnier folgte ihr.
„Und was nun, Mademoiselle Sylvi?“
Sylvi lächelte. Ihr Name klang so putzig in französischer Aussprache, putzig und im Grunde hübsch. „Jetzt will ich springen, dann muß ich mich beeilen und ins Hotel zurückkehren.“
Sie stand auf der Kante des Floßes, rank und schlank und stark. Man brauchte kein Franzose zu sein, um die Schönheit und Gesundheit dieser jungen Gestalt zu bemerken. Dann machte sie einen beispielhaften Sprung, und Garnier folgte ihr nach, aber so verwirrt und benommen, daß er eine reguläre Bauchlandung hinlegte. Sylvi sah es glücklicherweise nicht.
Am Nachmittag fuhr sie Frau Allen und eine ältere amerikanische Dame spazieren. Constanze Allen beherrschte gründlich die schwierige Kunst, nette Ferienbekanntschaften zu machen, ohne sich die Leute zu nahe kommen zu lassen. Sie traf auf ihren verschiedenen Reisen immer irgend jemand, mit dem sie gern beisammen war, aber es blieb dann auch eine Ferienbekanntschaft.
Die Amerikanerin schien ebenfalls viel gereist zu sein. Sie war ruhig und freundlich und sagte Sylvi einige nette Worte. Bei einer kurzen Rast unterwegs, während der die beiden Damen in einer Gaststätte einen kleinen Imbiß nahmen, meinte sie:
„Ich bin ganz begeistert von Ihrem jungen Chauffeur, Mrs. Allen. Wo haben Sie die junge Dame nur entdeckt?“
„Ganz einfach, durch eine Zeitungsanzeige“, erklärte Frau Allen lächelnd. „Aber ich gratuliere mir selbst jeden Tag dazu.“
Und dann erzählte Frau Allen zum dreiundzwanzigsten Male die Bremsengeschichte.
„Ja, dann brauche ich Sie also heute nicht mehr“, sagte Frau Allen nach der Rückkehr ins Hotel. „Haben Sie es übrigens nett gehabt? Etwas erlebt?“
„Ja, gnädige Frau. Ich habe gebadet und ein nettes englisches Ehepaar und einen französischen Freund von ihnen kennengelernt.“
„Wie nett für Sie, liebes Kind. Hören Sie, wenn das Wetter hält, wollen wir morgen vormittag einen Ausflug machen. Mittags essen wir irgendwo unterwegs. Zum Ausgleich haben Sie dann von fünf oder sechs Uhr an frei.“
„Gnädige Frau, Sie brauchen doch nicht so viel an meine Freizeit zu denken, die nehme ich eben, wann es gerade paßt. Und wenn es nicht paßt, macht es auch nichts. Ich finde, daß ich ständig Ferien habe, denn Autofahren ist doch keine Arbeit.“
„So? Und das Auto zu waschen und auf dem Rücken zu liegen mit dem Kopf tief darunter?“
„Ach, das macht doch Spaß“, erklärte Sylvi eifrig. „Glauben Sie, daß ein Reiter es beschwerlich findet, sein Pferd zu pflegen? Nun, ich finde es eben nicht beschwerlich, das Auto zu pflegen.“
„Sie sind schon ein komisches Mädel“, schmunzelte Frau Allen. „Also den Wagen morgen früh um zehn Uhr.“
„Gewiß, gnädige Frau. Gute Nacht, und vielen Dank für den schönen Ausflug.“
„Gute Nacht, liebes Kind.“
Es gab ständig Unruhe und Gerenne im Speisesaal der Dienerschaft. Die Herrschaften pflegten zu sehr verschiedenen Zeiten zu speisen, und die Chauffeure, Diener und Kammerzofen bekamen dadurch zu sehr verschiedenen Zeiten frei. Sylvi wußte, daß sie ungewöhnliches Glück hatte. Niemand hatte soviel Freizeit wie sie.
Als Sylvi heute herunterkam, war Jörn beinahe fertig mit seinem Essen.
„Schade, aber ich muß sausen“, sagte er. „Weißt du, ich muß etwas essen, ehe oben in meinem Zoo die Fütterung beginnt. Wenn die Geschichte erst begonnen hat, habe ich keine Ruhe mehr bis spät in der Nacht.“
„Hast du nie am Abend frei?“
„Doch, am Donnerstag. Und du mußt sehen, dann auch freizubekommen. Da werden wir schon etwas ausfindig machen. Also mach’s gut, Sylvi, denke voller Mitleid an mich -. Und höre, du mußt heute unbedingt von dem Lammbraten essen, der ist phantastisch. Weißt du, wie sie den feinen Geschmack erreichen? Die Tiere weiden auf Feldern, wo die Flut sie überspült hat und das Gras salzig ist. Ja, es ist wahr, dieses Fleisch ist eine Spezialität der französischen Küche. Au revoir!“
Sylvi lächelte. Jörn war wirklich nett. Aber auf einmal wurde ihr der Unterschied bewußt, der Unterschied zwischen seiner beinahe allzu ungezwungenen Kameradschaftlichkeit und Garniers so unendlich ausgesuchter Höflichkeit.
Im Grunde könnten Norweger ganz gut etwas von den Franzosen lernen, dachte sie. Jede Frau mag es gern, wenn man sie ein
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