Silvy macht ihr Glück
Mutter nach Pau gefahren. Ich selbst ziehe es vor, die Ferien allein zu verbringen. Und jetzt erkenne ich, daß es mein guter Geist war, der mich dazu gebracht hat hierherzufahren.“
Sylvi schwindelte es. Jäh erinnerte sie sich ihrer norwegischen Verehrer. Zuerst waren es Gymnasiasten mit Pickeln und Fußballhobby, dann Studenten und junge Geschäftsleute, alle mit einem munteren Jargon und glühendem Sportinteresse. Mit allen war sie per du gewesen, alle waren geradezu und unkompliziert. Jean Garnier war etwas ganz Neues für sie. Er war erfahren – sie schätzte ihn auf Anfang Dreißig –, er war so unglaublich höflich, so grenzenlos aufmerksam und zweifellos eingenommen von ihr. Es war nicht erstaunlich, daß die kleine Sylvi beinahe den Boden unter sich wackeln fühlte.
Sie tanzten wieder, und Jean Garniers Arm lag fest um sie. Sie schloß die Augen halb und fand, daß es schon seinen Reiz haben konnte, ein Privatmensch zu sein, wenn es andererseits auch als Chauffeur sehr vergnüglich war.
Sie überlegte, warum sie eigentlich Jean Garnier nichts von ihrem Beruf erzählt hatte. Nein, entschied sie dann. Ihm gegenüber wollte sie nur ein Privatmensch sein, dem Ehepaar Gordon gegenüber ebenfalls. Im Hotel Belville war sie verpflichtet, zur Dienerschaft zu gehören. Hier durfte sie sie selbst sein, hier hatte sie das Recht dazu.
Jean Garnier war diskret, er fragte sehr wenig. Aber im Laufe des Gesprächs erwähnte Sylvi, daß sie einen Bruder hätte, der Arzt in Oslo war. Und als Jean etwas über ihre schönen Rubine sagte, nickte Sylvi und erklärte, daß sie sie von ihrer Mutter geerbt hätte.
„Oh, Ihre Frau Mutter ist tot? Das tut mir leid.“ Seine Worte klangen warm und mitfühlend. „Aber vielleicht haben Sie eine neue Mutter in Madame Allen gefunden?“
Sylvi lächelte, und ihr Herz wurde warm, als sie an die liebe, gütige Frau Allen dachte. „Manchmal empfinde ich es beinahe so“, stimmte sie lächelnd zu. „Ich weiß nicht, vielleicht sollte ich Madame Allen meine Aufwartung machen?“ fragte Jean etwas unsicher.
Peng! dachte Sylvi. Das fehlte gerade noch.
„Ach“, sagte sie laut, „das ist nicht nötig. Es ist in Norwegen anders als hier, sehr viel freier. Oft kennen die Eltern die Freunde ihrer Töchter gar nicht. Es geht bei uns in vielen Dingen sehr wenig förmlich zu.“
„Norwegen muß ein wunderbares Land sein – in vielen Dingen“, sagte Jean. „Wollen wir auf Ihr schönes Land trinken, Mademoiselle Sylvi?“
Sie leerten ihre Champagnergläser bis auf den Grund.
Es war zwei Uhr, als sie aufbrachen. Jean legte Sylvi den Mantel um die Schultern. Er tat es behutsam, es wirkte beinahe wie eine Liebkosung. Sie gingen langsam durch die stille Allee nach Belville. Als sie sich dem Hotel näherten, gingen sie noch langsamer.
„Mademoiselle Sylvi, Sie haben mir einen wundervollen Abend geschenkt.“
„Ich finde, der Abend selbst ist wundervoll, so still und so warm“, sagte Sylvi leise. „Und es ist so wunderlich, das Brausen der Brandung beständig zu hören. Das kennen wir daheim nicht. Wir baden auch im Meer in Norwegen, jedenfalls im Osten, aber die See ist so still bei uns. Daß man hier den schäumenden Wogen entgegenlaufen kann, finde ich herrlich.“
Jean Garnier blickte in ihr lächelndes Gesicht.
„Kommen Sie morgen an den Strand, Sylvi?“ fragte er dann.
„Ja, ich glaube schon.“
„Dieselbe Stelle wie letztes Mal? Und zur selben Zeit?“
„Nein, nicht vor fünf Uhr. Ich mache morgen einen Ausflug.“
8
„Hallo“, sagte Jörn, als Sylvi ein paar Tage später zum Frühstück kam. „Nett, daß du so zeitig kommst! Da kann ich ein bißchen mit dir plaudern. Für mich fängt das Theater erst beim Mittagessen an. Wie geht es dir? Wie verbringst du deine Tage?“
„Die vergehen wie im Fluge.“
„Hast du irgendwelche Leute kennengelernt, mit denen du Zusammensein kannst?“
„Doch ja, einige sehr nette Leute, die da drüben in dem Hotel wohnen.“
„Das ist das Gescheiteste, was du tun kannst. Wenn du außerhalb Belvilles Bannkreis bist, kannst du ja ein Privatmensch sein. Hast du eigentlich mal einen ganzen Tag frei?“
„Nein, das glaube ich nicht. Aber ab und zu habe ich einen ganzen Nachmittag frei.“
„Kannst du nicht mit deiner Madame sprechen und versuchen, Donnerstag freizubekommen? Ich möchte dir gern Mont-Saint-Michel zeigen, mit dem Auto nur ein paar Stunden von hier entfernt. Oder bist du schon dort
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