Silvy macht ihr Glück
allein mit einem Mann einen Ausflug zu machen.“
„Also wann, Sylvi? Morgen?“
„Nein, morgen nicht. Mittwoch.“
„Also Mittwoch, wunderbar. Wie dumm, daß ich meinen Wagen nicht hier habe. Aber ich werde einen mieten.“
„Das ist nicht nötig“, erklärte Sylvi lächelnd. „Ich habe einen zur Verfügung.“
9
Noch nie hatte sich Sylvi mit ihrem Haar und ihrer Toilette soviel Mühe gegeben. Sie hatte zwar nicht viel Garderobe mit, aber das, was sie hatte, waren ausgesuchte Stücke aus ihrer „guten Zeit“. Sie wählte ein hellblaues Leinenkleid mit dazugehörigem Jäckchen. Ein lustiger bunter Seidenschal wurde mit einer schlichten Saphirnadel zusammengehalten.
Aus gutem Grund war sie schon vor zehn Uhr in der Garage. Sie wollte nicht riskieren, daß Jean beim Empfang nach Fräulein Eriksen fragte und zur Antwort bekam: „Doch ja, einen Augenblick, Madame Allens Chauffeur ist da.“ Nein, nicht Chauffeur, heute war sie bloß ein junges norwegisches Mädchen, das den charmantesten Kavalier der Welt erwartete.
Jörn hatte ihr ein Kompliment über das hübsche Kleid gemacht, und Yvette hatte neiderfüllt geseufzt. Einen ganzen Tag freizubekommen! Wenn alle norwegischen Herrschaften so großzügig waren, wollte sie wirklich eine Stellung als Kammerzofe in Norwegen suchen. Sylvi mußte ihr die traurige Eröffnung machen, daß die Anzahl der Kammerzofen in Norwegen sich vermutlich auf weniger als zwanzig belief und es daher sehr wenige Möglichkeiten gab.
Jetzt stand sie also bei dem Wagen, und da kam auch schon Jean, sonnengebräunt, schlank und lächelnd, charmanter als je zuvor.
„Sylvi, Sie überraschen mich unausgesetzt. So pünktlich!“
„Auch eine norwegische Eigenschaft“, log Sylvi. „Außerdem ist heute so wundervolles Wetter, da mußte ich so bald wie möglich heraus.“
„Ich bin entzückt, Sylvi. Wollen Sie, daß ich fahre oder…“
„Nein, ich möchte lieber selbst fahren.“
Dann glitt das silbergraue Auto hinaus auf die Straße, und vor Sylvi und Jean lag ein ganzer herrlicher Tag, vor ihnen lag Frankreich in seiner heißen Sommerpracht, lag die Bretagne mit ihrer Mischung aus mondänem Badeleben und Fischerbooten und einfachen Bauern. Und was lag sonst noch vor ihnen? Sie wußten es nicht. Aber noch nie hatte das graue Auto zwei so heftig schlagende junge Herzen als Passagiere gehabt.
„Wo wollen Sie denn hin, Sylvi?“
„Ich weiß nicht, was schlagen Sie vor?“
„Kennen Sie Mont-Saint-Michel?“
„Nein, aber da will ich eines Tages hin.“
„Warum nicht heute?“
Einige Augenblicke überlegte Sylvi. Hieß das nicht, Jörn im Stich zu lassen? Ja, aber Jörn hatte nur an Donnerstagen frei. Und vielleicht regnete es am nächsten Donnerstag?
„Doch ja“, sagte sie, „fahren wir also nach Mont-Saint-Michel. Ich nehme an, daß Sie mein Reiseführer sein können?“
„Da und überall, Sylvi. Und so oft wie möglich.“
Seine Hand legte sich über die ihre.
„Jean, Sie dürfen mich nicht beim Fahren stören.“
„Bitte um Verzeihung. Aber reden darf ich doch mit Ihnen?“
„Ja, das dürfen Sie.“
„Lassen Sie mich von Mont-Saint-Michel erzählen. Sie wissen wohl, es ist eine Bucht an der Cotentin-Halbinsel, nicht wahr? Und die Bucht ist etwas ganz Merkwürdiges. Da ist ein kolossaler Unterschied zwischen Flut und Ebbe. Wenn Ebbe ist, liegt ein gewaltiges Areal trocken, Kilometer auf Kilometer. Bei Flut dagegen ist der Felsen eine Insel, und da liegt die kleine Stadt Mont-Saint-Michel. Die ist ursprünglich um das alte Benediktinerkloster gebaut worden, das beinahe tausend Jahre alt ist. Ein großer Teil des Klosters steht noch.“
„Ja, ich habe Bilder davon gesehen“, nickte Sylvi.
„Haben Sie? Ich werde Ihnen alles zeigen, die Klosterkirche, das Refektorium, den Kreuzgang und die Ringmauern um die Stadt, die noch stehen.“
„Aber ist es nun Flut oder Ebbe, wenn wir hinkommen? Wenn Flut ist, müssen wir ja zum Kloster schwimmen.“
Jean lachte.
„Ins Kloster schwimmen! Es ist wahrhaftig schon schwierig genug, ins Kloster zu gehen, woran ich – nebenbei bemerkt – noch nie weniger gedacht habe als gerade jetzt, Sylvi! Nein, es gibt ja einen Damm, der dahin führt, reichlich breit, so daß man darauf auch fahren kann, und es gibt sogar einen Parkplatz für Autos.“
„Ich freue mich sehr darauf, Jean.“
„Und ich erst – ich erst!“
Kurze Zeit fuhren sie schweigend. Dann fragte Jean:
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich
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