Simsala. Die Geschichte Eines Kleinen Zauberers.
zauberte der Junge seinem Vater ein weichgekochtes Ei und, weil ihm das, als er selbst noch ganz klein war, so sehr gut getan haben sollte, ein Gläschen mit Lebertran. Abra Kadabra Bim rasselte ein kaum verständliches »Danke!«, spülte den Lebertran, ohne mit der Wimper zu zucken, in einem Schluck herunter und machte sich dann genüsslich über sein Ei her. Simsala aß ein Butterbrot mit Himbeermarmelade und überlegte dabei, was er wohl machen sollte, wenn er nicht in die Schule konnte. Es würde gewiss ein höchst langweiliger Tag werden ohne die Erstklässler und Herrn Martin, das sah er deutlich voraus. Wie schnell er sich doch an die Schule gewöhnt hatte!
Als sein Vater ihm das ausgelöffelte Ei zuschob - mit der Spitze nach oben natürlich, ein Trick, den nicht nur Zauberer kennen - und behauptete, er hätte auf einmal doch keine Lust auf weichgekochte Eier, vergaß Simsala beinahe, so zu tun, als freute er sich. Abra Kadabra Bim musste erst einen kleinen Hustenanfall bekommen, um Simsala aus seinen Überlegungen zu reißen. Weil es sich nun einmal so gehörte, nahm der kleine Zauberer das leere Ei, schlug es mit dem Messerende auf und tat ganz überrascht, als ein Küken den Kopf aus der Schale herausstreckte und piepste. Aber er überließ es seinem Vater, zu schnippen und so das arme Küken aus dem Eierbecher zu erlösen. »Papa«, seufzte Sinsala endlich, »mir fällt gar nicht ein, was ich den ganzen Tag über tun soll.« Der alte Zauberer runzelte die Stirn. »Was gibt es da zu überlegen?«, krächzte er, »vormittags bist du in der Schule, und nachmittags machst du Hausaufgaben, wenn dein Lehrer es erlaubt.«
»Dann«, stotterte der Junge überrascht, »dann -, dann darf ich in die Schule, obwohl dir dein Hals so weh tut und du die frische Luft nicht mehr so gut verträgst?« Abra Kadabra Bim nickte.
»Du musst eben allein fliegen. Der Teppich wird den Weg schon finden.«
Das war eine ungeheure Sache. Den Trick mit dem fliegenden Teppich dürfen Zaubererkinder nämlich erst lernen, wenn sie so groß und vernünftig sind, dass sich ihre Eltern keine Sorgen mehr um sie zu machen brauchen. Solange sie klein sind, ist der fliegende Teppich für sie ebenso verboten wie das Fahrradfahren auf der Straße für gewöhnliche Kinder.
»Ich besorge dir einen kleinen fliegenden Teppich«, sagte der alte Zauberer, »den kannst du aufrollen und unter einem Busch verstecken, solange du in der Schule bist. Nach dem Unterricht brauchst du dich dann nur draufzusetzen und heimzufliegen. Und das tust du bitte gleich und ohne noch viel herumzuspielen. Sonst muss ich mir Sorgen machen, und das bekommt meinem Hals nicht.« Mit Pudelmütze und dickem Schal warm vermummelt, machte sich Simsala wenig später allein auf den Schulweg. Was hatte er seinem Vater nicht noch alles versprechen müssen: gut auf den Teppich zu achten, erst loszufliegen, wenn er sicher war, dass niemand ihm zuschaute, unter keinen Umständen andere Kinder mitfliegen zu lassen, keine scharfen Kurven zu fliegen und nicht zu schnell zu beschleunigen.
»Sachte kommt auch voran«, hatte der Vater gebrummt, und Simsala, stolz wie er war, hatte ihm alles zugesagt. Pünktlich zehn Minuten vor Beginn des Unterrichts landete der kleine Zauberer auf dem freien Feld unweit der Schule, rollte seinen Teppich ein, versteckte ihn in dem Gebüsch, aus dem er an seinem ersten Schultag die Schultüte hervorgezaubert hatte, und lief dann, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, zur la hinauf. Fröhlich grüßte er im Vorübergehen die Reihe der goldgerahmten ehemaligen Rektoren an der Wand des Flurs und erlaubte ihnen, zur Abwechslung mit dem rechten Auge zu zwinkern. Die dicken Staubflocken auf den breiten Blättern des Gummibaums verwandelte er rasch in Schneeflocken, und beim Wasserhahn kam ihm wieder die Idee mit der Limonade.
Aber Herr Martin stand in der Klassentür und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Das erinnerte den kleinen Zauberer daran, dass manche Dinge in der Schule eigentlich verboten waren, und so blieb es beim Wasser. Der Unterricht an diesem Tag verlief, ohne dass etwas Besonderes vorgekommen wäre. Kleinigkeiten, die Simsala mehr aus Versehen unterliefen, störten Herrn Martin nicht; er tat einfach so, als hätte er nichts bemerkt. (Aus dem Augenwinkel hatte der Lehrer natürlich wahrgenommen, dass Ruth aus ihrem Rechensäckchen keine Kieselsteine, sondern Schokoladenbonbons hervorschüttelte. Er hatte auch bemerkt, dass Rüdiger, als er in
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