Simulacron-Drei
wenige Augenblicke später im Automixer, und er brachte es herüber. Lächelnd fuhr er sich mit den Fingern durchs weiße Haar.
»Dazu kann ich eine Rasur und ein frisches Hemd bieten.«
Ich grinste und leerte mein Glas.
Er zog einen Stuhl heran.
»Jetzt können Sie mir alles erzählen.«
»Es wird nicht einfach sein.«
»Zeno? Ein Mann namens Morton Lynch? Solche Dinge?«
Ich nickte.
»Ich bin froh, daß Sie hier sind. Sehr froh. Da ist doch noch viel mehr als die Skizze und Lynch, nicht wahr?«
»Viel mehr. Aber ich weiß nicht genau, wo ich eigentlich anfangen soll.«
Er lehnte sich zurück.
»Ich erinnere mich, daß ich vor einer Woche in Limpys Bar von der Mischung von Psychologie mit Simulektronik gesprochen habe, die zu absurden Ideen führen müsse. Vielleicht darf ich mich einmal selbst zitieren: ›Man kann nicht einfach Leute in Maschinen stopfen, ohne sich über die Natur beider Gedanken zu machen.‹ Haken Sie doch da ein!«
Ich tat es. Ich erzählte ihm alles. Während der langen Beichte veränderte sich sein Gesichtsausdruck nicht ein einziges Mal. Als ich fertig war, stand er auf und ging hin und her.
»Erstens«, sagte er, »versuchen Sie es nicht mit Selbstverachtung. Bemühen Sie sich um einen objektiven Standpunkt. Auch Fuller hatte Schwierigkeiten. Nicht in demselben Maße wie Sie. Aber er hat den Simulator auch nicht so weit entwickelt wie Sie.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß man die Dinge, für die Sie verantwortlich sind, nicht tun kann, ohne unvermeidliche psychologische Konsequenzen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Doug, Sie sind ein Gott. Sie haben grenzenlose Macht über eine ganze Großstadt von Pseudo-Menschen, sogar eine Analog-Welt. Manchmal müssen Sie etwas tun, das sich mit Ihren ethischen Überzeugungen nicht vereinbaren läßt – wenn Sie zum Beispiel eine ID-Einheit löschen. Ergebnis? Gewissensbisse. Was resultiert daraus? Ein ewiges Auf und Ab. Phasen maßloser Begeisterung gefolgt vom Abstieg in die Tiefen der Selbstbeschuldigung. Haben Sie so etwas schon erlebt?«
»Ja.« Erst jetzt begriff ich es.
»Und wissen Sie, was für einen Zustand ich eben beschrieben habe?«
Ich nickte und flüsterte: »Paranoia.«
Er lachte auf.
»Aber nur eine unechte Paranoia – um einen künstlich hervorgerufenen Zustand. Das wirkt trotzdem sehr überzeugend. Es fehlen auch keine Symptome: Größenwahn, Kontaktschwäche, Verfolgungswahn, Halluzinationen.«
Er machte eine Pause. Dann sagte er ernsthaft:
»Sehen Sie denn nicht, was geschieht? Sie löschen eine Einheit und bilden sich ein, daß in Ihrer eigenen Welt etwas beseitigt wird. Sie reprogrammieren die vergangenen Erfahrungen einer unwirklichen Bevölkerung und glauben, man manipuliere an ihrer eigenen Umwelt herum.«
So verwirrt ich auch war, ich vermochte die Logik seiner Erklärung zu erkennen.
»Nehmen wir einmal an, daß Sie recht haben. Was kann ich dagegen tun?«
»Sie haben neunzig Prozent davon schon getan. Das Wichtigste ist das Begreifen und die Konfrontation mit sich selbst.«
Er stand plötzlich auf.
»Besorgen Sie sich bitte noch etwas zu trinken, während ich anrufe.«
Als er zurückkam, hatte ich nicht nur das zweite Glas geleert, sondern ich stand auch im Badezimmer und rasierte mich.
»Bravo!« rief er. »Ich hole das Hemd.«
Aber als er zurückkam, runzelte ich schon wieder die Stirn.
»Und was ist mit den Bewußtseinsstörungen? Die sind doch echt.«
»Natürlich – im psychosomatischen Sinn. Ihr Ich empört sich gegen den Gedanken an eine Psychose. Sie suchen deshalb nach einem Ausweg, der Sie das Gesicht bewahren läßt. Bewußtseinsstörungen, Ohnmachten heben das Ganze auf die organische Ebene. Sie brauchen sich deshalb nicht gedemütigt vorzukommen.«
Als ich mich umgezogen hatte, führte er mich zur Tür und meinte: »Daß Sie mir mit dem Hemd richtig umgehen.«
Sein Rat war mir unverständlich, bis ich Dorothy Ford vor dem Haus entdeckte. Jetzt begriff ich auch, warum er telefoniert hatte – die gute Dorothy, nur zu bereit, mir den ›Auftrieb‹ zu geben, den ich nach Collingsworths Meinung offenbar brauchte. Ob sie in der Stimmung war, eine Rettungsaktion zu unternehmen, spielte keine Rolle. Sie hatte jedenfalls Gelegenheit, eine von Siskins Kapitalanlagen im Auge zu behalten.
Aber das machte mir nichts aus.
Wir schossen in die stille Dunkelheit hinaus und schwebten zwischen einem schmückenden Dach aus kalten Sternen und dem glitzernden Teppich der Lichter unserer
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