Simulacron-Drei
nach. »Um Himmels willen – nicht!«
Ich betrat die Zelle, schloß die Tür und beobachtete den Sekundenzeiger meiner Analog-Uhr. Als mir nur noch zwei Sekunden blieben, schaute ich noch einmal ins Foyer hinaus. Ich konnte einen Aufschrei nur mit Mühe unterdrücken.
Gegen ein quälendes Gefühl des Verlustes ankämpfend, da ich wußte, daß ich die Rücktransferierung nicht aufhalten konnte, sah ich die vertraute Gestalt Morton Lynchs – eines analogen Morton Lynchs – das Foyer durchqueren.
7
Ich verbrachte den Rest des Nachmittags damit, gegen meine Angst vor dem Simulator anzukämpfen. Er war zu einem elektronischen Ungeheuer geworden, das seiner eigenen Seele Zielbewußtsein einblies und auf irgendeine Weise in meine Welt eingedrungen war, um Fuller zu töten und Lynch zu entführen.
Ich kam schließlich auf die Idee, daß der Morton Lynch, den ich im Analog-Foyer gesehen hatte, eine Reaktions-Einheit sein mochte, die ihm lediglich ähnlich sah. Erst am nächsten Morgen wurde mir jedoch klar, daß ich das auf sehr einfache Weise feststellen konnte. Mit diesem Ziel vor Augen eilte ich in die Index-Abteilung. In der ›Berufs‹-Kartei suchte ich unter Sicherheitsdienste Keine Eintragung. Von der Theorie ausgehend, daß Lynchs simulektronischer Beruf seinem wahren ähnlich sein mochte, forschte ich unter ›Polizei‹ nach. Ohne Ergebnis.
Ich gestand mir ein, daß ich Raffinesse vermuten mochte, wo sie nicht vorgesehen war, entschied mich für den direkten Weg und trat an die Namenkartei. Die letzte Eintragung unter ›L‹ lautete: ›Lynch, Morton – IDE-7683.‹
Meine Hand zitterte, als ich die Vermerke auf der Karte las. Die Einheit IDE-7683 war vor drei Monaten von Dr. Fuller persönlich in den Simulator einprogrammiert worden!
Schlagartig teilte sich ein Vorhang vor meinem Gedächtnis, und ich erinnerte mich des Vorfalls, der mir infolge seiner Bedeutungslosigkeit entfallen war. Zum Spaß hatte Fuller eine Einheit nach dem echten Lynch modelliert. Dann war der Sicherheitsdirektor zu einem Kontaktbesuch im Simulator eingeladen worden und hatte dort – sich selbst beobachten können.
Meine Stimmung besserte sich. Wenigstens hatte ich mir selbst bewiesen, daß es einmal einen Morton Lynch gegeben hatte.
Wirklich?
Nun auch dieser letzten Hoffnung beraubt, schreckte ich vor der logischen Alternative, dem ausgleichenden Umstand zurück: konnte nicht die ganze Grundlage meines Glaubens an Lynchs frühere Existenz die unbewußte Erkenntnis sein, daß ein solches Individuum in die Maschine einprogrammiert worden war? Hatte diese verborgene Erinnerung weitergeschwelt, bis ich ins wirkliche Leben einen Lynch hineinphantasierte?
Bedrückt verließ ich das Gebäude. Ich wanderte ziellos an der langen Reihe der ATI-Demonstranten vorbei und blieb auf dem Ruhestreifen, wo ich die beruhigende Festigkeit des Betons unter meinen Füßen spüren konnte. Ich wollte laufen, bis ich die Stadt hinter mir hatte und mich auf stillen, verlassenen Feldern verlor. Aber dann dachte ich an den letzten Ausflug aufs Land und schob sowohl die Erinnerung daran als auch den Wunsch, sie nicht zu wiederholen, beiseite.
An der Ecke hielt mich ein Meinungsforscher auf.
»Ich führe eine Repräsentativbefragung über die Herrenmode im Herbst durch«, verkündete er.
Ich sah durch ihn hindurch.
»Ziehen Sie die breiten Revers…«, begann er, aber als er nach seinem Formularblock griff, stolperte ich weiter.
»Halt, kommen Sie zurück!« brüllte er. »Ich lasse Sie mit einer Geldstrafe belegen!«
Unter der Fußgängerbahn an der Ecke schrie ein automatischer Zeitungsverkäufer. »Test-Interviewer in Schwierigkeiten. Gesetzentwurf über das Verbot öffentlicher Meinungsbefragung!«
Selbst das – selbst die Tatsache, daß Siskin gegen den VTI seine Beziehungen spielen ließ – machte keinen Eindruck auf mich.
Während ich dort stand, tauchte ein anderer Interviewer vor mir auf. Leise zischte er mir zu: »Um Himmels willen – um Ihrer selbst willen, vergessen Sie das Ganze!«
Von der unverhüllten Offenheit der Warnung aufgeschreckt, griff ich nach seinem Arm, aber mir blieb nur sein Ärmelabzeichen in der Hand, als er herumfuhr und in der Menge verschwand.
Das war nicht passiert, sagte ich mir dumpf. Ich hatte mir das nur eingebildet.
Ein Flugwagen löste sich aus dem dahinströmenden Verkehr und hielt am Randstein.
»Doug!« rief Jinx fröhlich. »Ich wollte dich gerade zum Essen abholen!«
Dann sah sie den
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