sind große Klasse
Trix wieder ein, dass sie sich vorgenommen hatte, großzügig zu sein. Sie hatte damit anfangen wollen, Bobby und Anne etwas zum Geburtstag zu schenken. Sie durfte es nicht vergessen. Trix überlegte. Viel Geld hatte sie nicht mehr. Sollte sie Bobby die Haarspange schenken? Und Anne etwas von ihren eigenen Sachen? Eigentlich hatte sie dazu keine Lust.
Sie schaute sich um. Die Leute drängten sich. An den Wühltischen ging es zu, als bekäme man dort etwas geschenkt. Trix schlenderte hinüber. Auf dem ersten Tisch häuften sich Seidentücher. Trix nahm eines in die Hand. Hübsch, sehr hübsch. Zehn Mark.
Zu teuer für sie, aber nicht zu teuer für einen solchen Schal. Trix dachte nach. Dann ließ sie ein besonders schönes, hellblaues Tuch in ihre Tasche gleiten. Sie tat es ganz ruhig, ohne jede Nervosität. Sie hatte so etwas ja schon früher gemacht, daheim. Zusammen mit Sandra und Conny. Die beiden hatten ihr beigebracht, wie man „billig einkauft“, wie sie es nannten. Sie waren neu in die Klasse gekommen und hatten keinen Anschluss gefunden. Trix hatte ebenfalls keine Freundin. Sie fand es wunderbar, dass die beiden sich um sie bemühten. Sie zeigten ihr auch, wie sehr sie sie mochten, indem sie ihr hin und wieder etwas schenkten. Trix freute sich. Sie dachte, die Mädchen könnten sich diese ungewöhnliche Freigebigkeit leisten. Dass ihre Eltern Geld hatten, war im Ort kein Geheimnis.
Als sie Trix dann erzählten, dass sie im Kaufhaus klauten, war sie entsetzt. Sie fand es widerlich und unanständig. Sandra lachte sie aus. „Hab dich nicht so“, meinte sie. „Bist du nie im Leben im Bus schwarzgefahren?“
Natürlich hatte Trix das ein paarmal getan, wie fast alle anderen auch. Sie nickte.
„Also! Da hast du den Staat betrogen, nicht wahr? Aber du findest das nicht so schlimm, stelle ich mir vor. Wir klauen manchmal. Nur kleine Dinge, nichts Wertvolles, bestimmt keine goldene Uhr oder solche Sachen. So einen ähnlichen Reif wie diesen da hat mein Vater mir aus Indien mitgebracht.“ Sie deutete auf den Armreif aus bunt bemaltem Holz, den sie Trix neulich geschenkt hatte und den sie an diesem Tag gerade trug. „Er sagt, dort kosten die Dinger zwei Mark. Hier im Kaufhaus kosten sie acht. Warum soll ich da nicht einen mitnehmen?“
Trix war verwirrt. Das Beispiel mit dem Schwarzfahren hatte sie unsicher gemacht. Trotzdem wusste sie, dass bei all der oberflächlichen Logik etwas faul war. Man durfte nicht stehlen. Auch dann nicht, wenn ein Geschäft die billigen Armreifen zu teuer verkaufte. Aber vielleicht hätte sie auch nicht schwarzfahren dürfen?
„Du bist bloß feige“, grinste Conny. „Natürlich ist es verboten zu klauen. Deshalb ist es ja gerade so spannend. Du musst gut sein, damit sie dich nicht erwischen. So viel Mut hast du nicht. Wir haben uns eben in dir getäuscht. Du bist einfach feige, das ist es.“
Beim nächsten Mal ging sie mit Conny und Sandra. Sandra stahl einen Lippenstift, ein Fläschchen Kölnisch Wasser und ein Stück Seife, Conny eine Schallplatte. Trix ließ sich die Seife schenken, obwohl sie sie nicht brauchte, Mami brachte aus der Parfümerie genug Seife nach Hause.
Beim zweiten Mal machte sie mit. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie glaubte, es müsste jedem auffallen, dass sie vor Angst schwitzte. Sie stahl Ohrringe, billigen Modeschmuck. Die Freundinnen lobten sie und meinten, sie wäre prima und bestimmt kein Feigling. Trix wusste nicht, ob sie sich über das Lob freuen sollte. Die Ohrringe schenkte sie der Tochter von Mamis Putzfrau.
Es blieb nicht bei diesem einen Mal. Aber Trix ging nur mit Sandra und Conny, nie allein. Und sie klaute nie etwas, das sie selbst haben wollte. Sie nahm nur irgendetwas mit. Sie brauchte die Anerkennung der Freundinnen und das Gefühl, kein Feigling zu sein. Bloß manchmal, wenn sie irgendwann in der Nacht aufwachte und nicht gleich wieder einschlafen konnte, schämte sie sich. Und einmal fragte sie sich, ob sie nicht vielleicht deshalb wirklich ein Feigling war, weil sie Dinge tat, die sie nicht richtig fand, nur um nicht als Feigling bezeichnet zu werden. Trotzdem hörte sie nicht auf damit. Und im Laufe der Zeit gewöhnte sie sich daran.
Sie wurden nie erwischt. Nach einem Jahr verließen Sandra und Conny die Schule. Nicht freiwillig, sie mussten gehen. Trix erfuhr nicht, was der Grund war. Um die Ladendiebstähle konnte es sich nicht handeln, denn Trix bekam keine Schwierigkeiten. Die Freundinnen verschwanden einfach.
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