Sind wir bald da
Schminke locker hinbekommt), frage ich natürlich nach: »Wieso Problem? Wieso Alter?«
Sie: »Na ja, weil du halt nicht so ganz ausschaust wie ein Fünfundzwanzig- bis Siebenundzwanzigjähriger.«
Nicht. Aha. Wer glaubt, ich hätte jetzt genug gehabt und hätte endlich meinen Suppenschlitz geschlossen gehalten, irrt gewaltig. »Wieso? Wenn ich mich rasiere, schaue ich viel jünger aus .«
Jetzt sagt sie nichts mehr. Aus Pietät, aus Höflichkeit. Vielleicht auch aus Resignation. Sie hat es subtil versucht, sie hat mich wenig sanft mit dem Holzhammer gestreift, aber jetzt reicht es. W.O. Aufgabe. Wenn ich jetzt nicht einsehe, dass ich ein alter Sack bin, dann ist sowieso alles zu spät. Da ist es wenig trostreich zu wissen, dass die siebzigjährige Mutter eines Freundes gemeint hat, nach vierzig gehe das Leben weiter. Was soll sie denn sonst sagen? Dass sie sich seit dreißig Jahren tot fühlt und wundert, dass sie niemand beerdigt und Kerzen für sie anzündet? »Sie! Ich bin tot! Schon seit dreißig Jahren. Will mich jetzt mal wer aufbahren und zu weinen beginnen? Was ist das denn für ein Service hier ?« Nein, nein, so funktioniert das alles nicht.
Was meine Suche nach dem Jakobsweg anbelangt: Ich scheitere an grundsätzlichen Fragen. Zum Beispiel an der Jahrhundertaufgabe, ob ich zuerst nach Kärnten, dann nach Südtirol und dann nach Vorarlberg fahren soll — oder ob es nicht doch weiser wäre, zuerst Südtirol und erst dann dem Rest meine Aufwartung zu machen. Im Sinne des Umweltschutzes und vor allem meiner eigenen Faulheit will man ja keine leeren Kilometer machen und sinnlos hin und her fahren. Das mag für einen Außenstehenden vielleicht lächerlich wirken und nicht wie ein echtes Problem ausschauen, es hält mich aber seit Wochen von einem sorgenfreien und entspannten Leben ab. Nicht ganz, ich übertreibe natürlich, aber das ist letztendlich ja auch meine Aufgabe als Kapitän dieses Buches. Niemanden interessiert die Welt, so wie sie ist. Zumindest braucht man darüber nichts zu lesen, weil man die Welt, so wie sie ist, ohnehin dauernd erlebt. Interessant sind nur die Übertreibungen. Auch wenn Sie ein wissenschaftliches Buch lesen zum Beispiel. Wenn Sie sagen wir mal ein Buch darüber lesen, wie es im Orbit aussieht und wie schwarze Löcher entstehen, dann ist das nur deswegen interessant, weil es eine Art von Übertreibung dessen ist, was Sie jeden Tag erleben. Schwarze Löcher finden Sie auch in der Welt, in der Sie sich den Hintern auswischen und Ihr Fahrrad gestohlen wird. Sie merken zwar nichts davon, aber sie sind da, die schwarzen Löcher. Wenn sich aber ein verschrobener Wissenschaftler tagein tagaus mit all dem wirren Zeug beschäftigt, ist das irgendwann für ihn normal, für uns ist es aber eine Übertreibung und deshalb interessant und lesenswert. Logisch, oder? Nicht? Gut, dann halt nicht. Ich habe mir nur gedacht, dass das vielleicht ein bisschen Sinn ergeben könnte, dass man dann behaupten könnte, diese Zeilen seien »erhellend« und »hochphilosophisch«. Nicht dass mir das wahnsinnig wichtig wäre, aber die üblichen Attribute — »provokant«, »Spiegel des Zeitgeistes«, »popliterarisch wertvoll«, »geistreich«, »witzig« — gehen mir fast noch mehr am Allerwertesten vorbei.
Ich will endlich einmal erleben, dass Menschen etwas gut finden, ohne dass ihnen davor sämtliche Medien erklären, dass sie es gut zu finden haben. Warum weil: Meistens ist es ja so, dass eine mediokre CD, ein unnötiges Buch, eine sagenhaft uninspirierte TV-Sendung oder alles zusammen auf den Markt kommt und sofort zum Kult erklärt wird. Da fragt dann keiner mehr nach, ob das gut oder schlecht ist, weil jeder, der Kult nicht mag, ihn nicht verstanden haben kann und deswegen ein Depp sein muss. Und ein Depp ist niemand gerne. Dann noch lieber hässlich. Zu dick, zu dünn oder zu glatzköpfig finden sich viele Menschen. Für zu dumm hat sich noch niemand gehalten, den ich kenne (mich eingeschlossen, muss ich zugeben).
Ich bin wieder vom Jakobsweg abgekommen, Verzeihung. Ich habe mich erkundigt, wie Kinder, die Jakob heißen, in der Schule genannt werden. Das erschütternde Ergebnis: Jackie, Jack oder: Jackson. Dann doch gleich lieber Kevin. Haben Sie bedacht, dass »Jackson« eigentlich »der Sohn von Jack (also Jakob)« bedeutet? Wer hätte gedacht, dass wir so schnell eine Verbindung von Michael Jackson zum hl. Jakob finden? Der King of Pop, der, vom Namen her, eigentlich der Sohn des Apostel
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