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Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
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selten Anlass zur Nervosität. Vor der Japanreise war ich dennoch so aufgeregt wie nie, nicht, weil ich mich nicht ausreichend vorbereitet hätte, sondern weil ich einfach nicht einschätzen konnte, wie das Fernsehpublikum diesen Schritt aufnehmen würde. War die Entscheidung für eine solche Serie nachvollziehbar? Mir war vollkommen bewusst, welche Wirkung die beiden Schriftzeichen für »Japan« bei Chinesen hervorrufen können.
    Bevor es losging, wagten wir uns weit vor und baten unsere Zuschauer im Internet um Meinungen und Vorschläge. Ein positives Nebenprodukt dieser Umfrage war zunächst einmal die große Zahl von aufgeschlossenen Rückmeldungen und auch die Qualität der Fragen an uns, die erfreulich nachdenklich und professionell ausfielen und offensichtlich Ergebnis rationaler Überlegungen waren. Die schweigende Mehrheit der Öffentlichkeit, die hinter den lauten Tönen einer Minderheit nicht wahrgenommen wird, vertritt zumeist ganz vernünftige Ansichten. Uns blieb nur, das, was wir vorhatten, mit großem Engagement in die Tat umzusetzen. Halbe Sachen zu machen wäre ein Frevel an dieser schweigenden Mehrheit gewesen.
    Gut hundert Seiten mit den Fragen und Ideen von Zuschauern wanderten so in mein Gepäck. Irgendwie fühlte ich mich wohler, wenn ich sie mitnahm.
    Der Flug ging kurz nach 9.00 Uhr, und wir landeten um 7.00 Uhr japanischer Zeit in Tokio. Zehn Minuten später zeigte mein Handy überraschend eine ziemlich lange SMS von meiner Mutter an. Für meine Mutter ist das Schreiben von SMS ein physisch anstrengender Akt, die Zahl der SMS, die ich innerhalb eines ganzen Jahres von ihr bekomme, lässt sich an einer Hand abzählen.
    Meine Mutter machte sich offensichtlich Sorgen über meinen Einsatz in Japan. Sie ermahnte mich in ihrer Nachricht, nach Japan zu fahren sei keine Kleinigkeit, die letzten hundert Jahre Geschichte haben die Leute extrem empfindlich gemacht. »Wenn du von dort eine Sendung machst, achte genau auf deine Wortwahl, schreib dir besser alles vorher auf, damit dir kein Patzer unterläuft.«
    Meine Mutter ist Geschichtslehrerin, geboren in Jilin und aufgewachsen in Liaoning, 25 und hat lange in der Provinz Heilongjiang gelebt und gearbeitet. Ihr Geburtsjahr 1937 war das Jahr des Zwischenfalls an der Marco-Polo-Brücke und des Ausbruchs des zweiten chinesisch-japanischen Kriegs. Während der Besetzung der Mandschurei kam ihr Vater, mein Großvater, soweit es heißt, durch die Hand der Japaner ums Leben.
    Ich wusste, wie es um die Gefühle meiner Mutter stand, und konnte davon ausgehen, dass dieser nicht gerade kurzen Nachricht einige schlaflose Nächte vorausgegangen waren. Trotzdem, wir hatten uns zu diesem Schritt entschieden, weil die Zeit reif war. Bestimmte Dinge muss man einfach tun.
    Eine Entscheidung, heftiger als ein Taifun
    Der Plan, nach Japan zu gehen, war natürlich nicht die überstürzte Laune eines Augenblicks. Aber das Stichwort dazu war mir tatsächlich einfach so »rausgerutscht«.
    Wegen des Taifuns, der uns nach den Dreharbeiten zu »Yansongs Blick auf Taiwan« noch einen Tag lang auf Taiwan festhielt, verbrachten wir unsere letzte Nacht nach dem Abschluss unserer Arbeit mit dem Team im Hotel. Wir waren uns ziemlich sicher, dass unsere Serie erfolgreich sein würde, und trotz des Taifuns vor der Tür wurden wir ein bisschen übermütig. Einer fragte mich: »Und wo sehen wir uns das nächste Mal um?«
    Mir rutschte spontan heraus: »In Japan!«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen, so als ob gerade mit dieser Antwort niemand gerechnet hatte.
    »Wieso Japan?«
    Ich erinnere mich, darauf alles Mögliche geantwortet zu haben, aber der Kern meiner Aussage war: »Dort sind die Nachrichten.«
    Das war im Sommer 2005. Im April desselben Jahres war es von Peking bis Shanghai, von Xi’an bis Chengdu zu großflächigen antijapanischen Demonstrationen durch chinesische Jugendliche gekommen. Die chinesisch-japanischen Beziehungen standen auf der Kippe und hatten einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht. Auslöser der Proteste war der offizielle Besuch des damaligen japanischen Premierministers Junichiro Koizumi am Yasukuni-Schrein 26 . Vor diesem Hintergrund stieß der Vorschlag, eine Reportage über Japan zu machen, selbstverständlich auf Verwunderung und Unverständnis:
    »Die Beziehungen zwischen China und Japan können sich doch nicht immer weiter verschlechtern. Was ist also das Beste, das die Medien angesichts der gegenwärtigen Situation tun können? Davon abgesehen: Die

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