Sind wir nun gluecklich
Japaner wissen über China Bescheid und verstehen uns, wir aber wissen nichts über Japan. Dieses Missverhältnis gefährdet unsere Zukunft.«
In den Buchläden beschränkte sich das Angebot von Literatur über Japan damals auf den amerikanischen Klassiker Schwert und Chrysantheme von Ruth Benedict und die schon hundert Jahre alte Abhandlung über Japan von Sun Yatsens Sekretär Dai Jitao. Und über das Japan der Gegenwart wagten die Medien wegen der Überempfindlichkeit bei diesem Thema und der momentanen Wut der Massen kaum differenziert zu berichten. Zu Japan erschienen meist nur Geschichtsbücher oder Lehrwerke. Unser Blick war völlig durch den Zorn verstellt. Wäre es nicht an der Zeit, einen Schritt nach vorn zu wagen und Gefühle wie Liebe oder Hass einmal beiseitezulassen, vielleicht eine Tür aufzustoßen oder zumindest eine realistische Sichtweise auf unser Gegenüber, unseren Nachbarn, zuzulassen?
Ich bin sicher, dass meine Kollegen meinen Erläuterungen durchaus folgen konnten, aber begeistert waren sie nicht gerade. Wir alle wussten: Das würde ein heikles und risikoreiches Unterfangen werden. Es blieb zunächst ohnehin bei der Idee und hieß nicht, dass wir sofort loslegen würden.
Zuerst kam Abe
Im Frühjahr 2006 interviewte mich ein Reporter der Zeitschrift Pekinger Jugendwoche zu dem sehr provokanten Thema »Zerstört den Yasukuni-Schrein«. In diesem Interview erwähnte ich zum ersten Mal unsere Pläne für eine Sendereihe über Japan und stellte klar, was wir wollten: »Zuerst verstehen und dann urteilen.« Natürlich fragte der Journalist gleich nach: »Wann wäre die passende Gelegenheit dafür?«
»Im Jahr 2006 endet die Amtszeit von Junichiro Koizumi«, erwiderte ich. »Ich bin sicher, dass sein Nachfolger nicht sofort wieder den Yasukuni-Schrein besuchen wird. Dann wäre der richtige Zeitpunkt gekommen.«
Diese Antwort war im Frühling 2006 schwarz auf weiß in der Zeitschrift zu lesen, doch niemand, mich selbst eingeschlossen, konnte sich sicher sein, ob das Szenario wirklich so eintreten würde. War ich nicht zu naiv gewesen?
Im September desselben Jahres nahm Koizumi seinen Hut, und Shinzo Abe wurde neuer japanischer Premierminister. Völlig unerwartet galt sein erster Staatsbesuch dem chinesischen Nachbarn.
Am Abend des ersten Tags seiner Visite in Peking erhielt ich einen Anruf meines Kollegen Liu Aimin, der im Team von »Yansongs Blick auf Taiwan« dabei war: »Hallo, Yansong. Und, machen wir jetzt ›Blick auf Japan‹?«
»Das hab ich mich auch gerade gefragt.«
Die Zeitspanne zwischen meinem Vorschlag und der Umsetzung war kürzer, als ich angenommen hatte. Aber das machte nichts, die entsprechenden Vorbereitungen waren schon länger getroffen worden.
Blick worauf?
Und was sollten wir uns in Japan ansehen? Zunächst musste sich unser Blick auf die schwer zu entwirrenden geschichtlichen Fragen richten. Wie sahen die Japaner die heiklen Themen, die uns auf die Palme brachten? Welche Bedeutung hatte der Yasukuni-Schrein für sie? Wie viele unterschiedliche Perspektiven in Bezug auf die Geschichte gab es in Japan? Was sagten die japanischen Medienmoguln über die Motive des ehemaligen Premierministers?
Diese Inhalte waren unsere erste Wahl. Und dann? Was wollten wir noch über Japan wissen? Zuallererst galt es, sich mit den in China prominenten Persönlichkeiten Japans zu treffen und über sie ein Gefühl für die Temperatur der Beziehungen zwischen China und Japan zu bekommen und natürlich auch ihre Ansichten und Überlegungen dazu zu erfahren. Nach und nach einigten wir uns auf die Schriftsteller Junichiro Watanabe und Ryu Murakami, die Schauspielerin Komaki Murihara, den Musiker Shinji Tanimura, die Sängerin Ayumi Hamazaki, den »Präsidenten der Finanzwelt« Fujio Mitarai, unter den Politikern wählten wir den ehemaligen japanischen Premierminister Yasuhiro Nakasone und Akie Abe, die Gattin des amtierenden Premiers, aus und dann noch den Matsushita-Präsidenten Fumio Otsubo.
Worüber wir uns jedoch am meisten den Kopf zerbrachen, war nicht die Auswahl der Interviewpartner, sondern immer noch: Was sollten wir uns ansehen?
Also formulierte ich folgende Kriterien für unseren Blick auf Japan: Probleme, mit denen Japan im Moment konfrontiert ist und Erfahrungen sammelt und die in Zukunft auch China betreffen könnten. Japan sollte uns als Spiegel und Modell für die erfolgreiche Gestaltung unserer eigenen Zukunft dienen. Diese Kriterien wendete ich auch auf die darauf
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