Sind wir nun gluecklich
war.
Einmal wurde während der Aufzeichnung ein Film eingespielt, in dem es um einen Offizier der Volksbefreiungsarmee ging. Auf dem Heimatbesuch am Wochenende mit Frau und Tochter wurden sie Zeuge, wie ein Lebensmüder sich in einen Fluss stürzte. Er sprang hinterher, um ihn zu retten. Der verhinderte Selbstmörder überlebte, während der Offizier vor den Augen seiner Frau und seiner Tochter starb. Auf den Bildschirmen erschien das herzzerreißende Bild der vierjährigen Tochter mit den vor dem Sprung ins Wasser abgestreiften Schuhen des Vaters in der Hand. Mit tränenerstickter Stimme rief sie: »Papa, komm zurück, komm wieder nach Hause …«
Auch ich bin Vater und habe solche Bilder schon gesehen, aber es war einfach hier vor all den Leuten schwer zu ertragen. Mir standen die Tränen in den Augen, doch ich musste mich wohl oder übel zusammenreißen, denn zwei Minuten später war die Reihe an mir zu moderieren. Meine Kollegen holten mir rasch ein Taschentuch, mit dem ich mir die Tränen trocknen konnte, wobei ich mein Make-up verwischte und vermutlich nun erst recht lächerlich aussah. Es war extremer Stress, aber immerhin blieb die Aktion den meisten Zuschauern im Studio verborgen, da wir ja gerade wegen des eingespielten Films abgedunkelt hatten. Äußerlich ruhig begann ich dann meinen Part, auch wenn ich innerlich immer noch aufgewühlt war, was nur sehr aufmerksamen Zuschauern nicht verborgen blieb.
Diese Erfahrung machte ich während all der Jahre mehr als einmal, manchmal passierte es mir sogar im Scheinwerferlicht, mitten auf der Bühne.
Der Preisträger der zweiten Folge von »Was China bewegt« war die aus Henan stammende pensionierte Ärztin Gao Yaojie, die mit siebzig Jahren mit HIV-Infizierten in Berührung kam und seitdem all ihre Kraft in die Prävention und die Heilung von Aidskranken steckte. Sie ließ sich weder von den Vorurteilen der Leute noch von den Vertuschungsversuchen der zuständigen Behörden beirren. Zum Zeitpunkt der Preisverleihung war sie bereits 77 Jahre alt. Ihr Weg war kein einfacher, und das nicht nur wegen des schwierigen Umfelds. Ihre einstmals gebundenen Füße erlaubten ihr nur kleine, humpelnde Schritte, und doch schritt sie gerade mit diesen der Vergangenheit geschuldeten kleinen Füßen mutig voran, um sich der sehr »modernen« Krankheit Aids in den Weg zu stellen, ein Projekt, für das sie sich völlig verausgabte.
Die damalige Bühne verlangte vom Preisträger, mehr als zehn Treppenstufen hinab bis zur Mitte der Bühne zu schreiten. Nachdem der Name der Preisträgerin Gao Yaojie laut verkündet worden war, öffnete sich gravitätisch die Tür oberhalb der Bühne, und die ein Meter sechzig kleine, 77 Jahre alte Frau mit dem weißen Haar erschien auf der Schwelle, ein Anblick, der das Publikum ohnehin schon staunen ließ. Dann humpelte sie unter großen Mühen die Stufen hinab und zitterte dabei am ganzen Körper, man hatte Angst, sie könnte jeden Moment hinfallen. Ich ging ihr schnell entgegen und reichte ihr die Hand wie ein Sohn seiner Mutter. Nie hätte ich erwartet, dass Gao Yaojie nur den Kopf hob, mich ansah und eine wegwerfende Handbewegung machte. Als sie meine dargebotene Hand abwies, konnte ich nicht mehr an mich halten und ließ meinen Tränen freien Lauf. Und meiner Kollegin Jing ging es genauso. Die Studiogäste begannen zu applaudieren. Der Applaus begleitete die starrsinnige Gao Yaojie, bis sie fest und gerade in der Mitte der Bühne stand. Sie war diesen Weg allein gegangen, wie sie auch ihren Weg im Kampf gegen Aids ging.
Vor dem Ende der Preisverleihung schrieb Gao Yaojie uns noch ein paar Sätze nieder, es war ein Aufruf voller Liebe, aber auch voller Zorn. Doch dieser Zorn war ja auch nichts anderes als eine Form von Liebe:
»Aids ist eine Krankheit, die einer weltweiten Katastrophe gleichkommt. Wo Aufstieg und Niedergang der Nation auf dem Spiel steht, sollte jedermann seiner Pflicht nachkommen. Praktische und realistische Zuwendung und Fürsorge sind gefragt, um den Aidspatienten und ihren Familien zu helfen. Das ist die Pflicht eines jeden Chinesen. Ihr alle, die ihr aus reichen, ausbeuterischen und fetten Familien stammt, ihr seid gefragt: Macht euch endlich an die Arbeit im Kampf gegen Aids!«
Das Programm war voll mit solchen Szenen. Der berühmte Bombenentschärfer Wang Baixing, den man sich als einen hartgesottenen Kerl vorstellte, entpuppte sich im Gespräch als zartbesaiteter Mensch. Als er einmal die Aufgabe einer äußerst
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