Sind wir nun gluecklich
und meine Sportlichkeit überhaupt. Alle unsere Spielzeuge kamen ohne jede Elektronik aus, die Gewehre waren selbst gebastelt, und abgesehen von ein oder zwei Bällen kam alles, was wir hatten, aus der Umgebung, Dachziegel zum Beispiel. Selbstverständlich hatten wir auch Glasmurmeln und Zigarettenschachteln, aber ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht, wozu Glasmurmeln gut sind und wo sie überhaupt herkamen.
Gegen Abend stieg dann der Rauch aus den Küchenkaminen, und einer nach dem anderen wurde mit »XY, komm nach Haus zum Essen!« gerufen. Wir spielten so lange weiter, wie noch zwei Spieler übrig waren, und machten erst Schluss, wenn der Vorletzte zum Essen gerufen wurde.
Zigarettenfilterhosen
Ich habe einmal einen Post-Achtziger gefragt, ob er schon einmal Zigarettenfilterhosen getragen hat. Kaum hatte ich die Frage gestellt, bereute ich sie auch schon, denn wie könnte er die kennen?
»Was sind denn Zigarettenfilterhosen?«, fragte mein Gegenüber auch gleich entsprechend verwundert zurück.
Als Heranwachsender ging es mir wie den meisten Kindern damals: Innerhalb eines Jahres konnten kaum ein paar Kleidungsstücke für uns genäht, geschweige denn gekauft werden. Ich war noch jung und frech, und so passierte es hin und wieder, dass mir eine Naht aufging. Dann wurde ich panisch, als ginge gleich die Welt unter, und versuchte, das Malheur, so gut es ging, zu verbergen, damit es kein Erwachsener merkte und es keine Ohrfeige setzte. Und wenn ein Kleidungsstück kaputtging, gab es auch nicht einfach so ein neues. Die Kleider wurden geflickt, solange es möglich war. Alle trugen wir überall Flicken auf der Kleidung, da ging es mir nicht anders als meinen Klassenkameraden.
Und ganz entschieden zum Bild unserer Pubertätsjahre gehörten auch die Zigarettenfilterhosen. Wir wuchsen, und wir wuchsen schnell. Immerzu wurden uns die Hosen zu kurz, aber da unsere Familien nicht ständig für neue Hosen sorgen konnten, wurde an die Hose unten einfach ein Stück drangesetzt. So sahen die Hosen aus wie Zigaretten mit Filter. Das Tollste waren Hosen, die gleich zwei- oder dreimal auf diese Weise verlängert worden waren, am besten noch in verschiedenen Farben.
Die Monatshefte für Literatur und das Geschichtenerzählen
Mit Beginn der achtziger Jahre stieg die Nachfrage nach Kultur explosionsartig an, selbst in unserer kleinen Grenzstadt. Es gab damals ein paar Dinge, die man ohne die Hilfe von Freunden nicht beschaffen konnte, zum Beispiel nutzte meine Mutter ihren Status als Lehrerin und bediente sich der Hilfe eines ehemaligen Schülers, um die Zeitschriften Monatshefte für Literatur und Kino für alle abonnieren zu können. Wenn meine Mutter nach Hause kam, durchforstete ich immer ihre Tasche, um zu sehen, ob sie eine Zeitschrift dabei- oder ein Buch ausgeliehen hatte, und vertiefte mich dann gleich in die Lektüre. Beim Kulturkonsum gab es damals so gut wie keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern; für mich war das ein Glück.
Eine andere Sache, für die man auf die Hilfe anderer angewiesen war, waren Kinokarten. In unserer Stadt gab es vier oder fünf Kinos und alle waren ständig ausverkauft. So wurde jeder Tag, an dem meine Mutter jemanden gefunden hatte, der uns Kinokarten besorgte, zum Festtag. Und wenn sie niemanden fand, wurde der Kinokartenkauf zur Zitterpartie. Oft gab es vor den Kinos lautstarke Auseinandersetzungen deswegen, hin und wieder wurde sogar jemand verletzt. Man sieht, der Markt für Kinofilme boomte.
Ein Vergnügen, für das man sich keine Helfer suchen musste, war, einem Geschichtenerzähler zu lauschen. Ich weiß noch, wie Dan Tiansus Lesung von »Romanzen der Sui- und Tangzeit« im Radio übertragen wurde und wir nach Schulschluss unter den Radiolautsprechern an den Elektromasten stehen blieben und zuhörten, bis die Sendung zu Ende war. Im Winter beeilten wir uns stattdessen, nach Hause zu kommen, um dort den Geschichten zu lauschen. Meine ganze Familie, von der Großmutter bis zum Onkel, war vom Geschichtenerzähler gefesselt und ließ sich verzaubern von den Gestalten des Li Yuanhan oder Luo Cheng. Meine Großmutter machte sich erst am Ende der Sendung zufrieden ans Essenkochen, und wir beklagten uns nicht, auch wenn wir hungrig waren. Ein Polizist aus dem Viertel meinte einmal: »In der Zeit, in der der Geschichtenerzähler im Radio ausgestrahlt wird, haben wir immer die niedrigste Kriminalitätsrate.«
»Sanshiro Sugata« und die argentinische
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