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Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
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blicken. Ein besonderer Sturm 40 führte dazu, dass unser Abschied von niemandem begleitet wurde.
    Wir waren damals schon müde, müde bis auf die Knochen. Keiner wusste, was vor ihm lag, und der ganze Campus schien einzig und allein aus Absolventen zu bestehen.
    Jede Generation wählt sich ihre eigene Abschiedsmelodie. In unserem Fall war das Ji Qins »Wahrscheinlich im Winter«.
    Wir sangen es immer wieder, und wir schluchzten mit jedem Abschied, mit jedem davonfahrenden Zug, der einen unserer Kommilitonen mitnahm. Wer zuerst abreiste, durfte sich glücklich schätzen, zumindest konnte er noch die Wärme der anderen mitnehmen. Unglücklich war derjenige, der zuletzt ging und nur noch die Einsamkeit zum Weggefährten hatte. Und das Traurigste war, dass ich mich unter den Letzten befand, die gehen mussten.
    So trug jeder sein Bündel fort, besonders schweres Gepäck hatte wohl keiner von uns, das gewichtigste waren unsere Erinnerungen und unser bleiernes Herz. Einer meiner Mitstudenten hatte sich gegen eine Karriere beim Rundfunk oder an der Uni entschieden und wollte heiraten und zurück in die Heimat nach Guangdong gehen, dort sei es wärmer als in Peking, meinte er. Andere verschwanden ohne Nachricht im Ausland, und ich habe keine Ahnung, wohin es sie heute ver schlagen hat. Die meisten aber sind immer noch in China, und wir halten weiterhin Kontakt und pflegen unsere gemeinsamen Erinnerungen.
    Zwanzig Jahre später verbrachte ich das Frühlingsfest 2009 mit meiner Familie in Chengdu. Wir tranken Tee in einem der Teehäuser, und nebenbei durchstöberte ich die nahe gelegenen Stände mit antiquarischen Büchern. Plötzlich entdeckte ich eine Ausgabe der Flusselegie : ein altes Buch, das vor zwanzig Jahren Furore gemacht hatte und heute offenbar niemanden mehr interessiert, nachlässig in einem Haufen Schnulzenromanen, Medizinbüchern oder Karriereratgebern verborgen. Ja, dieses Buch war von der Zeit früh zum Abdanken gezwungen worden. Ich nahm es zur Hand, der Inhalt war mir gut bekannt, und ich musste es nicht erst durchblättern. Als ich nach dem Preis fragte, war ich überrascht, dass es praktisch der alte war, seinen Wert hatte es offenbar nicht zu steigern vermocht, aber immerhin wurde es nicht für weniger verkauft als früher. Ich kaufte es und nahm es mit zurück nach Peking, wo es seitdem ungelesen im Regal steht, allein, damit es nicht weiter sein Dasein zwischen diesen anderen Druckerzeugnissen fristen musste.
    Der Anblick dieses Buchs hatte mich mit einem Mal ruhig werden lassen, so ruhig wie in meinem letzten Winter der achtziger Jahre. Damals war ich in Zhoukoudian außerhalb von Peking, spielte Mah-Jongg und alberte herum, hatte innerhalb eines Jahres gerade einmal zwei Bücher gelesen: Der Traum der roten Kammer war das eine und Der große Qi-Gong-Meister das andere. Ich hegte keine großen Hoffnungen, von Verzweiflung konnte aber auch keine Rede sein. Ich wusste einfach oft gar nicht, wohin mit mir, und konnte deshalb manchmal nachts nicht schlafen. Ich hatte all die Hitzköpfigkeit und die Ideale der achtziger Jahre durchlebt und wusste nicht, wohin meine Seele nun treiben würde.
    Dieser Winter war wunderbar ruhig. Das lärmende Jahrzehnt der Achtziger ging inmitten einer großen Stille jäh zu Ende.

    34 Die »10 000-Yuan-Haushalte« waren seit den späten siebziger Jahren als Wohlstandsideal propagiert worden. 10 000 Yuan Renminbi (circa 1000 Euro) Jahreseinkommen waren damals viel Geld.
    35 Der 1960 in Changsha geborene Soldat Lei Feng wird seit seiner Auszeichnung zum nationalen Vorbild für Selbstlosigkeit durch Mao Tse-tung immer wieder in Erziehungskampagnen unter dem Motto »Von Lei Feng lernen« zitiert.
    36 So viel wie »ritterliche Kampfkunst«, charakteristisches Genre der chinesischen Literatur und des chinesischen Films.
    37 Der Schriftsteller Zhang Xianliang (geb. 1936) wurde während Maos Kampagne gegen die »Rechtsabweichler« 1958 zum ersten Mal und in den folgenden zwanzig Jahren immer wieder in Arbeitslager gesperrt. Seine auch auf Deutsch erschienenen Romane Die Pionierbäume und Die Hälfte des Mannes ist die Frau sind seine Verarbeitung dieser traumatischen Erfahrung.
    38 Unter diesem Titel brachte der 1961 geborene Musiker Cui Jian 1988 das erste Rockalbum in der Volksrepublik China heraus.
    39 Bei Dao, Shu Ting und Gu Cheng gehörten zur ersten Generation der sogenannten »Menglong-Dichter« (»obskuren Dichter« [siehe Kapitel 14]) und wurden in zahlreiche Sprachen

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