Sind wir nun gluecklich
verschwanden diese Dichter, einige verließen das Land und nahmen als einziges Gepäck ihre Sprache mit. Einer verabschiedete sich von seinen Illusionen und brachte erst seine Frau und dann sich selbst um. Ein anderer zog sich auf eine kleine Insel zurück und sah zu, wie die Blätter der Freundschaft auf dem Baum seines Lebens allmählich vergilbten und abfielen.
Nach über zwanzig Jahren nehme ich das Buch zur Hand und finde darin meine erste Liebe wieder. Aber statt dass mir im Gedanken daran das Herz schneller schlagen würde, spüre ich immer noch die Kälte und die Verletzung, die mir unser auf Höflichkeitsfloskeln beschränkter Kontakt zufügte. Gleichzeitig würde ich wegen des Fatalismus des Lebens am liebsten laut aufschreien. Nicht nur die Dichter sind alt geworden, auch wir selbst sind es.
San Maos Geschichten aus der Sahara
Wer kennt heute noch San Mao? Manche verwechseln sie vielleicht mit der gleichnamigen Comicfigur von Zhang Leping. Mir ging es anfangs auch so, bevor ich herausfand, dass es sich um eine Schriftstellerin aus Taiwan handelte, die uns aber nicht mit Geschichten aus Formosa begeisterte, sondern mit Wüstensand, Liebe und geträumten Olivenbäumen.
San Maos Bücher habe ich mir nach und nach in verschiedenen Buchhandlungen Pekings zusammengekauft, Geschichten aus der Sahara ist nur eins davon, ich nehme es hier als Repräsentant für viele Bücher. Da es erst mit zwei Jahren Verzögerung bei uns erscheinen konnte, wurde es mit großer Vorfreude erwartet. Das war nicht wie heute, wo man sich TV-Dramen über Nacht komplett im Internet ansehen kann, was zwar praktisch sein mag, aber den Verzicht auf das schöne Gefühl der Vorfreude bedeutet. Die Bücher erschienen im vielgerühmten Pekinger Freundschaftsverlag, der zahlreiche außerhalb Chinas lebende chinesische Schriftsteller verlegt und uns damit viele Fenster zur Welt geöffnet hat.
Wenn man damals die Bücher von Chiung Yao der Frauenliteratur zugerechnet hat und die Kung-Fu-Romane Gu Longs als typische Männerlektüre verstand, dann gehörte San Mao der Jugend. Ich habe dennoch sehr viel mehr Frauen als Männer kennengelernt, die San Mao verehrten. Als Frau ließ San Mao in ihren Werken viele Mädchenträume Wirklichkeit werden. Aber sie war keinesfalls allein das Sprachrohr der Frauen, denn sonst ließe sich nicht erklären, warum wir alle uns in ihren Geschichten verloren. Vielleicht lag es daran, dass uns allen das Reisen verwehrt war; und so hatten wir San Mao, die für uns ferne Welten erschloss. Jedes Herz kennt einen fernen Ort der Sehnsucht, eine Wüste, eine Steppe, einen José und Olivenhaine. San Mao war schon vor uns dort.
Wenn es aber allein das wäre, dann wäre San Mao nur ein vorübergehender Gast in unserem Leben gewesen, der verschwunden wäre, nachdem wir uns von den Reisen in die Ferne und dem Traum vom Vagabundenleben allmählich verabschiedet haben und als gesetzte Erwachsene unser triviales tägliches Leben lebten. Wir hätten unsere Begegnung mit ihr längst vergessen.
San Mao ließ nicht zu, dass wir sie vergessen konnten. Nur wenige Jahre nachdem wir mit ihrer Literatur in Berührung gekommen waren, erreichte uns die Nachricht, San Mao habe sich im Badezimmer ihres Apartments in Taipei erhängt.
Diese bemerkenswerte Frau, die bis ans Ende der Welt vagabundiert war, verabschiedete sich ausgerechnet in einem winzigen Raum mitten in der Stadt aus dem Leben, es war wie eine Ironie des Schicksals. Möglicherweise war diese Enge der Grund für ihre Verzweiflung, ein Grund, alles endgültig hinter sich zu lassen und sich eine ganz neue, jenseitige Welt zu suchen. Oder der Ausbruch in die Ferne hatte ihr nie geholfen, aus sich selbst auszubrechen. Der fernste Ort im Leben San Maos war ihr eigenes Herz.
Daher werden wir sie nicht vergessen können, denn San Mao ist zu einem unauslöschlichen Teil unserer Jugend geworden. Traurig ist, dass sie loszog, um nie mehr zurückzukehren, um niemals alt zu werden, während wir weitermachen müssen. Es ist gar nicht so leicht zu sagen, wer von uns das tragischere Los gezogen hat.
Von ihr geblieben sind einige nicht allzu umfangreiche Erzählbände, Gedichte wie »Der Olivenbaum«, langes, schwarzes Haar und ein Haufen Mythen, in denen sie lässig-elegant verschwand.
Ob das, was sie in ihren Büchern schrieb, Menschen oder Dinge, Gefühle und Bewusstseinslagen, echt war oder frei erfunden, ist im Grunde nicht so wichtig. Wir sind jedenfalls einmal wirklich mit ihren
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