Sind wir nun gluecklich
nicht aus subversiven Motiven schrieb, sondern einfach, um unser Bild von Zeng Guofang zu revidieren. Es gibt natürlich so einiges in der Geschichte, was der Revision bedarf. Zeng Guofan hatte Glück, dass er nach vielen, vielen Jahren zufällig einen Landsmann gefunden hat, der sich die Mühe machte.
Dieser Sohn des Ostens, der sein Leben lang auf holprigem Weg voranging, näherte sich mit jedem Schritt dem Höhepunkt seines Lebens. Umsichtig und minuziös beschreibt Tang Haoming seinen Helden auf dem Gipfel des Erfolgs, als er an der Seite des Kaisers die erlesensten Speisen kosten konnte, als hätte er sein Leben allein für diesen Lohn in Bescheidenheit verbracht.
Ich stolperte beim Lesen über diese Stelle. Wenn das der Gipfel des Lebens sein soll, dann möchte ich gern darauf verzichten.
Man kann bei Zeng Guofans Biografie nicht so genau sagen, ob es die Geschichte eines Erfolgs oder eines Scheiterns ist, ob dieses Leben glorreich oder tragisch war, ob dieser Mann ein Held war oder eine Witzfigur. Doch gerade durch diese Serie von Zweifeln, die davon zeugen, wie gründlich der Autor der Widersprüchlichkeit dieses Charakters auf den Grund gegangen ist, habe ich den richtigen Weg zur Beschaffenheit der Sendung »Kinder des Ostens« gefunden, der Titel war jetzt mehr als eine Idee.
An einem Nachmittag, im gedämpften Licht eines Souterrainzimmers, blieben mir die letzten Seiten von Zeng Guofan zu lesen; ich las sie langsam, Zeichen für Zeichen, wie um den Abschied von diesem Buch und diesem Schicksal hinauszuzögern. Doch schließlich gibt es auf der Welt kein Fest, das nicht zu Ende geht, irgendwann ist es vorbei, aber die Gedanken rasen weiter. Ich schlug mein Notebook auf und hämmerte schnell einige tausend Zeichen hinein, die ich bis heute aufbewahrt habe.
Viele Jahre später war ich in Hunan, der Heimat von Zeng Guofan und Tang Haoming, wo ich den Autor traf. Ich weiß nicht, ob er aus unserem kurzen Austausch von Höflichkeiten meine Dankbarkeit und meine Bewunderung herausgehört hat.
»Schindlers Liste«
Ich kann mich nicht erinnern, in welchem Jahr der Neunziger es genau war. Ich arbeitete schon eine Weile bei CCTV, hatte aber nach wie vor meine festen Treffen mit den Fußballfreunden meines vorherigen Senders. Wir trafen uns in meiner Mietwohnung, saßen zusammen auf dem Teppichboden, tranken und plauderten. Das Mah-Jongg-Spielen diente uns als Grund, uns zu treffen einerseits und als Werkzeug zum Erhalt unserer Freundschaft andererseits. Wir spielten die ganze Nacht hindurch bis zum Tagesanbruch. Als die Sonne durch die Vorhänge auf unsere übernächtigten Gesichter schien, war es Zeit, die Gäste zu verabschieden.
Ich weiß nicht, wer im Hausflur auf die Videokassette mit dem Film »Schindlers Liste« stieß. Unser Produktionsleiter hatte sie mir am Vortag geliehen und dabei gesagt: »Oscar-Preisträger, absolut klasse.«
»Schauen wir uns den an?«
Wir hatten doch noch keine rechte Lust auseinanderzugehen, also setzten wir uns wieder hin, das Geigenspiel von Yitzhak Perlman erfüllte das Zimmer, und das Leiden und Leben einer Gruppe von Juden entspann sich auf dem Bildschirm.
Die ganzen zwei Spielfilmstunden lang sagte keiner von uns ein Wort, und noch wundersamer war, dass trotz der durchwachten Nacht niemand müde schien. Als wir während des Abspanns die Vorhänge aufzogen, wirkte jeder erstaunlich munter.
Wir schwiegen auch danach weiter, keiner fand die richtigen Worte.
Was ein guter Film ist, ist eben ein guter Film. Das Einzige, worüber ich mir hinterher noch lange den Kopf zerbrach, war die Frage, warum das chinesische Volk, das doch genug leiden musste in seiner Geschichte, eigentlich nicht etwas Eigenes wie »Schindlers Liste« hatte.
Die Antwort hat etwas mit dem Verständnis unserer Natur zu tun. Erst wenn das Leid in Form eines menschlichen Charakters dargestellt wird, besteht die Möglichkeit, ihm wirklich ein Gesicht zu verleihen.
Der kommerzielle Erfolgsregisseur Steven Spielberg hat es richtig gemacht und eine wirklich ernsthafte Darstellung des Leidens geschaffen. Und ich werde mich immerfort an diesen Morgen erinnern, als ich trotz einer mit Mah-Jongg verbrachten Nacht nicht schlafen konnte.
»Der Teufel auf deiner Türschwelle«
Zu den besten Spielfilmen chinesischer Produktion gehören für mich »Leben!« von Zhang Yimou, »Lebewohl, meine Konkubine« von Chen Kaige und »Der Teufel auf deiner Türschwelle« von Jiang Wen 43 . Leider werden sie bei uns so
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