Sind wir nun gluecklich
dergleichen entdecke, halte ich äußerlich höflich Kontakt, aber innerlich Distanz. Dieses Zeitalter ist ohnehin ziemlich uninteressant, und ohne jeden Sinn für Poesie wäre es noch uninteressanter. Es muss doch noch etwas anderes geben als das tägliche Brot.
Die Gedichte sind tot, es leben die Dichter. Die Dichter unter uns bedienen sich vielleicht nicht mehr der Poesie, um etwas zu erschaffen; deshalb brauchen sie besonders aufmerksame Leser.
Die Alten
Zugegeben, ich mag viele alte Menschen und verbringe gern meine Zeit mit ihnen, nicht nur um von ihrer Weisheit zu profitieren und mich inspirieren zu lassen, sondern einfach, weil sie mir als Vorbilder dienen. Zu den erklärten Zielen meines Lebens gehört deshalb, in der Zukunft ein unterhaltsamer Alter zu werden, genau wie die, die mir jetzt am liebsten sind.
Wie Huang Yongyu zum Beispiel. Ich habe sagen hören, dass Huang Yongyu zu den ersten Besitzern eines eigenen Autos in Peking gehörte und mehrere Wagen hat, außerdem soll er ein erstklassiger Fahrer sein. Das Erstaunlichste an dieser Geschichte ist, dass der Maler bereits über sechzig war, als er das Autofahren lernte. Später wurde er zu einem großen Autoliebhaber und verwendete seine ganze freie Zeit auf diese Leidenschaft. Als er zu alt dafür wurde, beschränkte er sich aufs Zuschauen.
Aber der alte Meister hatte neben den Autos noch zahlreiche weitere Interessen. Spricht man von Huang Yongyu, denkt jeder zuerst an den Maler, aber in meinen Augen ist er vor allem ein großer Schriftsteller, dann ein großer Holzschnitzkünstler und erst an dritter Stelle Maler. Das ist keine absichtliche Mystifizierung. Wer es nicht glaubt, braucht nur einmal einen Blick in seine Bücher zu werfen und wird sich dabei von Anfang bis Ende nicht halten können vor Lachen. Seine Arbeiten sind nicht alle Komödien, tatsächlich überwiegen die Tragödien, auch wenn man das den Texten, in denen sich Tragik und Witz so mühelos verbinden, gar nicht anmerkt. Er ist ein typischer Autor aus Hunan, dessen bissiger Humor so scharf ist wie das Essen dieser Provinz, aber er ist auch ein Meister der treffenden Beschreibung von Gefühlen. Am Ende der Lektüre hat man viel gelacht, aber auch viele Tränen vergossen. Ich denke sogar, dass selbst die großen Essayisten ihn kaum übertreffen können. Ein Bild von Huang Yongyu zu besitzen ist dem normalen Menschen kaum möglich, aber für hundert Yuan kann man gleich mehrere seiner Bücher erwerben und an seiner Weisheit, seinem Denken und seinem Humor teilhaben, das ist billiger und wertvoller.
Der alte Huang schreibt auch Gedichte. Nach der Veröffentlichung einer Anthologie versammelte er ein paar Freunde in einer Buchhandlung, um sie langsam zu lesen. Und der pensionierte Li Ruihuan unterstützte ihn dabei. Da gab es kein förmliches Herumstehen und Händeschütteln, alle hatten ihren Spaß. Und in einem westlichen Vorort von Peking errichtete der alte Meister einen Hofgarten, den er »Halle der zehntausend Lotusblüten« taufte und in dem illustres Publikum ein und aus ging. Zu größeren Zusammenkünften bekam man eine handschriftliche Einladung mit der Kalligrafie des Meisters persönlich, auch das Vergnügen wurde mit feierlichem Ernst zelebriert. Ich habe schon einmal eine Einladung bekommen, war aber noch nie dort. Wann immer ich an ihn denke, fühle ich mich jedenfalls sehr heiter. In diesem Moment hat man keine Angst mehr davor, dass einem die Jahre zwischen den Fingern zerrinnen. Ursprünglich bedeutete alt werden eine der möglichen Arten des Schicksals. Doch jetzt bin ich neugierig darauf, wie all das Leid der Jahre im Alter verschwinden wird.
An dieser Stelle halte ich besser inne, denn ich muss an ein Bild von Huang Yongyu denken, auf dem ein Vogel dargestellt ist. Neben dem Vogel steht ein Satz, der mich glücklich macht: »Ein guter Vogel hat viel zu sagen!«
Ich nehme an, das Bild redet von einem Fernsehmoderator; deshalb ist es Zeit, das Thema zu wechseln.
Ding Cong 45 ist ein alter Freund Huang Yongyus. Vor gut zehn Jahren besuchte ich ihn zu Hause wegen eines Interviews. In den Jahren zuvor musste der alte Mann wegen einer schweren Krankheit ins Krankenhaus, und als er entlassen wurde, machte ich einen Höflichkeitsbesuch. Ich hatte nicht erwartet, dass er immer noch ein breites Lächeln auf dem Gesicht tragen würde. »Ich muss mich sowieso bald verabschieden. Frag nur ruhig, aber es interessiert doch keinen mehr.« Dann plauderten wir eine ganze Weile
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