Sind wir nun gluecklich
Optimismus.
Zehn Jahre sind zeitlich gesehen nicht besonders lange, aber die Menschen und die Themen sind andere, in mancher Hinsicht haben sich die Denkmodelle vollkommen verändert. Dennoch gibt es Träume, die haben nur winzige Fortschritte auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung gemacht, und selbst von diesen kleinen Fortschritten muss man fürchten, dass sie wieder zurückgenommen werden.
Doch vorbei ist vorbei, ganz gleich, ob unsere einstigen Erwartungen erfüllt wurden oder nicht, der Lauf der Zeit hat sie mit sich fortgetragen. Unabhängig von unseren Wünschen beginnt unsere Startlinie immer im aktuellen Augenblick. Was der Mensch auszuhalten vermag, hängt von der Stärke seiner Hoffnung ab.
Also heißt es, immer wieder aufs Neue loszuziehen, denn Hoffnung haben heißt weitergehen.
Als ich 1993 gerade frisch zur Sendung »Oriental Horizon« gestoßen war, sagte mir der Produzent: »Es gibt bei uns zwei Tabus: Zum einen gilt es, Adjektive zu vermeiden, und zweitens redet man nie seinen Interviewpartner als Lehrer an.«
Warum sollte man Adjektive vermeiden?
Wir sind Journalisten. Adjektive dienen der Ausschmückung, aber das Leben braucht keine Ausschmückung, egal, ob gut oder schlecht; die Nachrichten sollten das Leben immer so darstellen, wie es ist, und es nicht mit Adjektiven beschönigen oder Druck ausüben.
Warum man seinen Interviewpartner nicht als Lehrer anreden sollte?
Weil wir unser Publikum nicht belehren und als Schüler hinstellen wollen. Nachrichtensendungen sind keine Lehranstalt. Die Beziehung zwischen uns und den Zuschauern, uns und den Gesprächspartnern sowie den Gesprächspartnern und den Zuschauern sollte immer auf Augenhöhe und gleichberechtigt sein.
Also habe ich mir das gemerkt, wenn auch nicht immer beherzigt, aber zumindest doch darüber nachgedacht. Ich finde inzwischen, dass diese beiden Anforderungen nicht nur für das Fernsehen und die Nachrichten, sondern für die Gesellschaft und den Menschen überhaupt gelten.
Es verwundert, dass diese beiden Tabus für viele junge Kollegen immer noch wie neu wirken. Sie haben offensichtlich nichts von ihrer Wichtigkeit eingebüßt. Adjektive werden in den Nachrichten nach wie vor inflationär verwendet, und die Anrede »Lehrer« ist sogar noch mehr in Mode gekommen. Leider scheinen nur wenige daran interessiert, dem Einhalt zu gebieten. Vielleicht weil heute generell gilt: »Lieber zu viel als zu wenig.« Oder die Leute sind so praktisch orientiert und abgestumpft, dass unser langweiliges Leben zunehmend mit Lobpreis und blumigen Worten ausgeschmückt werden muss. Schöner wäre es, wenn man in unserer Zeit mehr Kritik und Bedenken zu hören bekäme, die Vernunft aus der Kontrolle von oben heraushören könnte und das Zeitalter sich durch besondere Stärke und besonderes Selbstbewusstsein gegenüber Kritik und Kontrolle auszeichnete. Wir sind nicht die Schüler des Zeitalters, und das Zeitalter sollte uns nicht von oben herab verlogene Aufsätze diktieren, während wir wirklich etwas lernen wollen.
Es sieht so aus, als täten wir gut daran, uns auch nach zwanzig Jahren noch an die alte Ermahnung meines Chefs zu halten.
Als ich vor zwei Dekaden beim Fernsehen anfing, schrieb ich mir – mit dem Herzen, nicht mit Tinte und Papier – einen Satz in mein Gedächtnis ein: Wenn du vom Menschen redest, dann achte den Menschen und sei selbst ein Mensch.
Dieser Satz war damals das Credo meiner hochfliegenden Ambitionen. Natürlich rührte er von meiner Unzufriedenheit mit der damaligen Mediensprache her.
In den Medien sind leere Phrasen und Stereotypen gang und gäbe, viele haben bei uns mit »Vaterland«, »Volk«, »Welt«, »Traum«, »enormer Größe« und »unendlicher Weite« zu tun, mit »Humanität« jedoch sehr wenig. In den Nachrichten geht es meist nur um bestimmte Vorfälle, es gibt nur Richtig oder Falsch, Schwarz oder Weiß, Gut oder Schlecht, aber die komplexe Mitte und insbesondere der Mensch werden ausgespart. Die Nachrichten gleichen einem Ausstellungsstück mit der Aufschrift »Bitte nicht berühren«, und die Medienleute sind wie das Gras auf der Mauer, das sich mit dem Wind aufrichtet oder nach unten blickt, ohne sich einmal selbständig eine Richtung zu suchen und nachzudenken. Gerade unter den gegenwärtigen Umständen erinnere ich mich und meine Kollegen deshalb bewusst an jenen Satz: »Wenn du vom Menschen redest, achte den Menschen und sei selbst ein Mensch.«
Es gab in diesen Jahren Fort- und Rückschritte.
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